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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

Corona macht’s deutlich

Corona, so scheint es, macht wie durch eine Lupe auf Missstände in der Gesellschaft aufmerksam, die seit Jahren bekannt, aber immer wieder wirksam verdrängt wurden:

Da ist der Pflegenotstand, die personelle Unterbesetzung der Krankenhäuser, die Vereinsamung alter und kranker Menschen. Da sind die unzulänglichen Betreuungsrelationen in Kindergärten und sonstigen Kinderbetreuungseinrichtungen und da sind die menschenunwürdigen Zustände in Massenunterkünften (Asylbewerber, Saison- und Billigarbeitskräfte) und die tierfeindliche Massenfleischproduktion. Da ist zudem ein Bildungssystem, in dem der Erfolg eines jungen Menschen zu einem ganz erheblichen Maß von seinem Elternhaus abhängt und da ist ein politisches Unbehagen, das explosionsartig in Gewalt umschlagen kann. Und da ist eine sehr beunruhigende Leugnung von Eigenverantwortung und gleichzeitig die Akzeptanz eines starken Staates, der es schon richten wird.

Die Lupe wirkt: Der Blick schärft sich und plötzlich wird das Verschwommene klar. So lange Erzieher/innen und Altenpfleger/innen mit ihrem Gehalt keine Familie ernähren können, obwohl sie verantwortungsvolle Posten von höchster gesellschaftlicher Bedeutung inne haben, so lange Verbraucher/innen Billigprodukte aller Art konsumieren, ohne sich ihrer eigenen Bedeutung für die mit der Produktion verbundenen Bedingungen für Mensch, Tier und Umwelt bewusst zu machen, so lange umfassende Bildung nicht als höchstes Staatsziel begriffen und finanziert wird, so lange soziale Benachteiligungen systemisch aufrechterhalten werden, so lange Bürger/innen Politiknähe nur in einer Zeit massiver politischer Interventionen ins Privatleben empfinden und diese auch noch gut heißen, ist nichts gut in Deutschland.

Und nimmt man die Lupe wieder weg, wird das Verschwommene bleiben. Da hilft auch kein Rettungspaket.

Wir Schädlinge*

Nachdenken über das Recht auf das Recht im Ausnahmezustand

Selbst dem Philosophen vom Fach fällt es in der Regel nicht gerade leicht, mit wenigen Sätzen zu sagen, was „Dialektik“ heißt. Nach nur einigen Wochen „Corona“ jedoch genügt ein Blick auf das, was Worte, kraft regierungsamtlicher Einsicht neu definiert, alles meinen können, um einen semantischen „Umschlag“ zu registrieren, den man getrost „dialektisch“ nennen darf. So haben wir inzwischen gelernt, dass deutsch „Zusammenhalt“ auf Englisch „social distancing“ heißt; dass „Nächstenliebe“ die engagierte Bereitschaft meint, Alte ohne geistlichen oder auch sonstigen Beistand sterben zu lassen; ja dass – so eine polizeiliche Einschätzung aus Berlin1So geschehen bei den Demonstrationen in Berlin zum 1. Mai 2020:  https://www.youtube.com/watch?v=PcuM0A1DEQs. Ein Polizeibeamter fordert in dem Video mit folgenden Worten eine Demonstrantin auf, das Grundgesetz zu verbergen: „Sie, das ist eine Werbung, die Sie uns da zeigen, somit eine politische Meinungsäußerung, und die dürfen Sie hier nicht tätigen!“. – das deutsche Grundgesetz eine „politische Meinungsäußerung“ darstellt, mit der man in Zeiten wie diesen besser nicht auf der Straße gesehen wird. ⇒ hier weiterlesen …

References
1 So geschehen bei den Demonstrationen in Berlin zum 1. Mai 2020:  https://www.youtube.com/watch?v=PcuM0A1DEQs. Ein Polizeibeamter fordert in dem Video mit folgenden Worten eine Demonstrantin auf, das Grundgesetz zu verbergen: „Sie, das ist eine Werbung, die Sie uns da zeigen, somit eine politische Meinungsäußerung, und die dürfen Sie hier nicht tätigen!“.

Die neue Corona-Warn-App: Daten- und Grundrechtsschutz in der Pandemiebekämpfung*

Die Corona-Warn-App des Robert-Koch-Instituts (RKI) steht seit gestern zum Download bereit und wurde unter großer medialer Aufmerksamkeit von RKI, der Bundesregierung und den beteiligten Unternehmen vorgestellt. Sie ermöglicht eine dezentrale Kontaktnachverfolgung und soll so ein individuelles Infektionsrisiko für jede NutzerIn ermitteln, letztlich um Infektionsketten zu unterbrechen und so die Infektionsrate insgesamt niedrig zu halten. Die App-Nutzung ist dabei richtigerweise freiwillig und soll dies auch bleiben. ⇒ hier weiterlesen …

Offener Brief „Zur Verteidigung der Präsenzlehre“

In einem offenen Brief fordern bisher über 4000 Lehrende und Studierende eine – vorsichtige, schrittweise und selbstverantwortliche – Rückkehr zu Präsenzformaten in der Lehre. Die Präsenzlehre als Grundlage eines universitären Lebens in all seinen Aspekten gelte es zu verteidigen: www.praesenzlehre.com

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