Die Diskussion um die Bedeutung der Zahlen wird mit dem Steigen dieser immer lauter. Am 05.10.20 wurde der Stand, der seit Beginn der Pandemie positiv Getesteten, auf 300.000 datiert. Die Belegung der Intensivpflegebetten hat sich verdoppelt. Zudem entstanden im Laufe der Woche immer neue deutsche Hotspots: Orte, welche eine Inzidenzzahl von über 50 pro 100.000 Einwohner aufweisen. Damit einhergehend forderten diverse Stimmen neue Kriterien zur realistischeren Bewertung der Zahlen. Kennzeichnend für die Woche vom 05.10.20-11.10.20 war zudem auch die Einführung des Beherbergungsverbot in der Mehrheit der Bundesländer. Die Kritik dazu war jedoch über die Woche gleichbleibend laut.
Beherbergungsverbot
Ein Großteil der Bundesländer beschloss Mittwochabend, dass ab sofort für Reisende aus innerdeutschen Risikogebieten ein Beherbergungsverbot gelte. Urlauber aus solchen dürften ab sofort nur noch beherbergt werden, wenn ein maximal 48 Stunden alter Negativ-Test vorgewiesen werden könnte. Zahlreiche Beherbergungsstätten stornierten mittlerweile die Buchungen von Reisenden aus den betreffenden Orten. Da zudem immer weitere Hotspots entstehen, insbesondere in deutschen Großstädten, greift das Beherbergungsverbot mit steigender Intensität um sich. Nur wenige Bundesländer distanzieren sich vom Beherbergungsverbot und gehen jeweils eigene Corona-Wege.
Die Kritik kommt jedoch aus den verschiedensten Bereichen und lässt nicht nach. So urteilt nicht nur die Opposition die Neuregelung als unlogisch und pauschal ab, auch Christian Drosten appelliert an die verantwortlichen Politiker, die Wirksamkeit einiger Einzelmaßnahmen zu überdenken. Die ins Feld geführten Argumente betreffen zumeist die falsche Auslastung der Testkapazitäten. Es gefährde, durch die Möglichkeit, sich freitesten zu lassen, „die ohnehin knappen Testkapazitäten, die dringend für medizinisches Personal und Risikopatienten benötigt werden“, so Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei. Hinzu kommt auch eine erneute Belastung der Tourismusbranche von enormem Ausmaß. SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach verweist ferner darauf, dass Reisen als Pandemietreiber durch keine Studie belegt wurden. Man „löse mit diesen Regeln also kein Problem, weil es da kein Problem gibt.“ Auch die Willkür der Regelung sei ein Problem. „Wir haben Hunderttausende Pendler jeden Tag. Die begegnen sich im Einzelhandel, im Nahverkehr, auf der Arbeit. Und dann darf ein Berliner aber zwei Tage nicht im Spreewald übernachten. Das macht alles keinen Sinn„, so der Berliner regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD). Zur Nachvollziehbarkeit und Willkür mancher Maßnahmen äußerte man sich auch in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung auf eingängige Weise. Darin wird aufgezeigt, dass die Einsicht der Bürger aktuell das stärkste Medium sei, um das Infektionsgeschehen gering zu halten. Leichtsinn und Gewöhnung seien gerade hochproblematisch. Die Forderung vieler Politiker, die aktuelle Entwicklung der pandemischen Lage ernster zu nehmen, würde jedoch erfordern, dass „besser eingeschränkt“ wird – also klar, verständlich und nachvollziehbar.
Nachdem schon Ende Juli ein bayerisches Beherbergungsverbot gerichtlich gekippt wurde und der Hotelverband angibt, dass nun auch mit Klagen zu rechnen sei, ist fraglich, ob das kürzlich beschlossene Beherbergungsverbot in dieser Form lange Bestand hat. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn äußerte sich im Zusammenhang mit der Debatte um neue Einschränkungen auf EU-Ebene und in Berlin folgendermaßen:
„Ich halte gar nichts davon, dass wir ständig über neue Regeln und Maßnahmen reden. Ich wäre schon sehr froh, wenn es gelänge, überall die bestehenden Regeln durchzusetzen.” Damit nahm er unter anderem auch Bezug auf die Nachlässigkeit mit der Einhaltung der Regeln in Berlin.
Einschränkungen in Berlin und anderen Hotspots – Diskussion um neue Kriterien zur Bewertung der Infektionszahlen
Über das Beherbergungsverbot hinaus einigten sich die Verantwortlichen der 11 größten Städte mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einen gemeinsamen Weg. Sie verständigten sich dabei auf die Beibehaltung der Inzidenzzahl von 50 pro 100.000 Einwohner und damit einhergehend mit Sperrstunden, Alkoholverboten, Personenbegrenzungen für Veranstaltungen und private Feiern sowie einer Maskenpflicht auch an belebten öffentlichen Plätzen zu reagieren. Vereinzelt wurden solche Regelungen für sog. Corona-Hotspots bereits umgesetzt. So reagierte ebenso wie Berlin der Landkreis Regen mit einer Sperrstunde. Armin Laschet, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, teilte ebenfalls mit, dass es für das Bundesland neue Regelungen geben werde. Die Maßnahmen sollten dann ab dem 1. November für alle Hotspots im Land greifen.
Besondere Aufmerksamkeit galt diese Woche jedoch vor allem Berlin, nachdem Jens Spahn kritisierte, dass man dort „mit Maske angeguckt wird, als wäre man vom Mond“. Jedoch wurde in Berlin bereits eine Sperrstunde für Geschäfte, Bars und Restaurants eingerichtet, jedenfalls überall dort, wo Alkohol verkauft wird. Seit Samstag gelten auch neue Personenhöchstgrenzen für private Feiern in geschlossenen Räumen und im Freien, um (illegale) Partys, welche als Treiber des Infektionsgeschehen angesehen werden, zu regulieren. Speziell der Sperrstunde steht man jedoch besonders ablehnend gegenüber. So äußern sich Experten dahingehend, dass die neuen Corona-Regeln auf ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden sollten. Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sieht insofern nur wenig Sinn in der Sperrstunde für Gastronomen, weil gerade dort Hygienepläne gelten und nur deren konkrete Umsetzung angreifbar sei. Die Kehrseite könnte nun sein, dass sich Personen vermehrt (gegebenenfalls illegal) privat treffen, wo keine Hygienekonzepte greifen.
Auch ein Berliner Lungenarzt regte an, die Maßnahmen vielmehr an der Zahl der tatsächlich Erkrankten auszurichten (so zudem Streeck, s. Wochenbericht 38), nicht an den Infektionszahlen. Diese Meinung vertritt ebenfalls der Charité-Direktor Professor Stefan Willich und gibt an, dass für die statistische Einschätzung der Infektionszahlen ein „vernünftiger Bezugsrahmen“ fehle. Sinngemäß berichtete man auch in der Folge des ARD „ARD Extra – Die Corona-Lage“ vom 05.10.20. Auch der Schwellenwert von 50 Infizierten pro 100.000 Einwohner sei laut Willich bei seiner Einführung zwar präzise genug gewesen, nun wäre das allerdings zu verneinen. Der Leiter des Charité Christian Drosten erhebt jedoch den Einwand, dass bereits die Infektionszahlen ein „nachlaufender Parameter“ seien. Die Zahl der belegten Intensivbetten ließe sich beispielsweise erst eine Woche nach der Diagnose feststellen, wobei die Testung zum Teil schon eine Woche zur Auswertung benötigt. Er appelliert im Umgang mit dem Infektionsgeschehen besonders an den Einzelnen sein Verhalten zu überdenken. Für die Vorweihnachtszeit bringt er eine sogenannte selbstauferlegte „Vorquarantäne“ ins Gespräch. Gemeint ist damit, dass man vor den weihnachtlichen Familienbesuchen freiwillig sozialen Kontakte vermeidet, um das Risiko zu verringern, gefährdete Gruppen wie die Großeltern über die Feiertage anzustecken.
Maskentragen im Bundestag und neue Quarantänebestimmungen
Zuletzt erweist sich auch die Meldung bezüglich der Pflicht zur Maske im Bundestag als aufheizend. Aufgrund steigender Zahlen in Berlin verschärfte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Regeln für das Parlament und ordnete eine Maskenpflicht (vorher nur Empfehlung) „für alle Räume einschließlich des Plenarsaals, der Sitzungssäle und Besprechungsräume, sowie für alle Verkehrsflächen und Aufzugsanlagen der Gebäude“ an. Die Funktionsfähigkeit des Deutschen Bundestags solle nicht beeinträchtigt werden oder gar zum Erliegen kommen. Maskenverweigerer müssen mit Geldbußen und einem Hausverbot rechnen, auch ein Verweis aus dem Bundestag ist möglich. Nachdem schon im Bayerischen Landtag im Juli eine Maskenpflicht eingeführt wurde, wogegen die AfD erfolglos klagte, kündigten sie an, auch gegen die Regelung im Bundestag gerichtlich vorzugehen. Begründet wird deren Standpunkt damit, dass nicht abschließend geklärt sei, ob der Bundestagspräsident alle unterschiedslos verpflichten könnte und ob es der Maßnahme daher nicht auch an der Verhältnismäßigkeit fehle. Abstände einzuhalten, empfände man als ausreichend, zudem bestehe keine pandemische Lage.
Eine neue Regelung für Reisende aus Risikogebieten wird auch bezüglich der geltenden Quarantäneregelung getroffen werden. Es soll die Möglichkeit geben, die Pflicht-Quarantänezeit (bisher 14 Tage) von nun maximal 10 auf 5 Tage durch ein negatives Testergebnis verkürzen zu können. Des Weiteren wird es womöglich eine „digitale Einreiseanmeldung“ geben, um die Daten von Einreisenden auf digitalem Weg direkt an die Gesundheitsämter weiterzuleiten.