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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

28. Kalenderwoche

Der Rückblick auf die vergangene Woche dämpft hoffnungsvolle Aussichten in mehrfacher Hinsicht.

Einerseits endet die Woche mit wohl düsteren Neuigkeiten im Hinblick auf die Entwicklung von Impfstoffen. Nachdem Bluttests der ersten Corona-Patienten in Deutschland, behandelt in der München Klinik Schwabing, zeigen, dass die Konzentration von Antikörpern rasch abnimmt, nehmen die Bedenken zu, ob und wie lange eine mögliche Corona-Impfung wirksam wäre. Diese Ergebnisse schließen sich einer Reihe vorangegangener Studien an. Gewichtig ist der Forschungszwischenstand für die gegebenenfalls ausbleibende Langzeitwirkung eines zukünftigen Impfstoffes, hingegen bedeutet es möglicherweise auch eine Absage für den umstrittenen von Jens Spahn geforderten Immunitätsausweis. Unterschiedliche Forschungsansätze, verschiedenartige Antikörper und divergierende Ergebnisse bei differierenden Krankheitsverläufen lassen ein Bild über die Zukunft eines Impfstoffes
und vermeintlich aussagekräftige Forschungsergebnisse aber diffus erscheinen, weswegen bei der Bewertung der Forschungsberichte (Beitrag von Alexander Graf) Zurückhaltung geboten ist.

Andererseits wird die Urlaubsvorfreude vieler Deutscher ebenso wie die Zufriedenheit mit gleichbleibend niedrigen Corona-Neuinfektionen in Deutschland gedämpft von den exzessiv Feiernden auf den Balearen. Zwar reagiert die dortige Regierung rasch mit der neuerlichen Einführung einer Maskenpflicht – ausgenommen für die Bereiche Pool, Strand und Sport – dennoch wird die Forderung laut, unter anderem vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach, dass Mallorca-Rückkehrer sich, sobald sie zurück in Deutschland sind, einem Corona-Test unterziehen sollten. Außerdem bezeichnen es manche als erforderlich, dass eine Quarantäne für Rückkehrer eingerichtet wird, um „ein zweites Ischgl zu vermeiden“ welches als Ausgangsort für die Verbreitung des Virus in Deutschland und Europa gilt.

Ein Lichtblick ist wohl in der Urlaubsindustrie der Kreuzfahrtreisenden zu verzeichnen, welche erstmals wieder deutsche Häfen ansteuern dürfen, als erste Stufe von drei Phasen. Im selben Atemzug sei jedoch erwähnt, dass die Grünen bei ihrem Online-Parteitag davor warnen, es dürfe trotz Corona der Kampf gegen die Klimakrise nicht einschlafen, es sei vielmehr ein „Pfadwechsel“ nach Corona anzustreben.

Die noch zu Beginn angeprangerte Justiziabilität der Corona-Maßnahmen, insbesondere die Mangelhaftigkeit von Entscheidungen zur Verhältnismäßigkeit und der Funktionsfähigkeit der Justiz (s. Corona-Tagebuch Phase 4), scheint überholt. Im Beschluss des nordrhein-westfälschen Oberverwaltungsgerichts zur Außerkraftsetzung der Verlängerung des „Lockdowns“ im Kreis Gütersloh wurde bemängelt, dass aufgrund des erlangten Kenntnisstandes differenziertere Regeln (Beitrag von Christian Wolf) angemessen seien. Wegen der erheblichen Varianz der Verteilung der Infektionen im Kreis, müsse nun im Einklang mit dem Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz reglementiert werden. Nachdem ein flächendeckender Eintrag in die Bevölkerung nach dem ersten Lockdown ausgeschlossen werden konnte, war die Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen so nicht mehr zu vertreten.

Die Erfahrungen, welche daraus gezogen werden, zeigen sich auch auf Ebene der Bundesregierung, welche nun
ein zielgenaueres Vorgehen planen, um auf regionale Ausbrüche zu reagieren. Bisher sollen nur Beschränkungen erlassen werden, wenn in einem Kreis die Anzahl der Infektionen den Grenzwert von 50 pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen übersteigt. Beschlüsse hat es diesbezüglich jedoch noch nicht gegeben, vielmehr spricht man von einem ergebnisoffenen Meinungsaustausch zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder. Für ein solches lokales und punktuelles Vorgehen sprach sich auch Bundesfamilienministerin Giffey aus. Vorausblickend für die kommende Schulzeit verwies sie zudem auf einen „hybriden Unterricht“, rechtfertigte aber die kompletten Schul- und Kitaschließungen zu Beginn der Pandemie. Auch die Bundesbildungsministerin (Beitrag von Andreas Herholz) regt an, im Schulbetrieb flexibel zu bleiben. Zwar soll der Unterricht nach den Sommerferien wieder regulär starten, jedoch bleibt das weitere Infektionsgeschehen abzuwarten. Je nachdem würde dieses gegebenenfalls nicht nur Landesunterschiede rechtfertige, sondern auch ein differenzierendes Reglement von Schule zu Schule.

Wachsender Unmut zeigt sich in den Reihen von Sexarbeitern und Sexarbeiterinnen, welchen einerseits medial kaum eine Stimme gegeben wird und andererseits zeigt sich die Politik ihnen gegenüber nicht verständnisvoll. So fordern Prostituierte nun bei Demonstrationen in Hamburg ihr Recht ein, ihre Arbeit wieder aufnehmen zu dürfen, und machen auf den Missstand aufmerksam, dass ihnen ihre Existenzgrundlage auf unbestimmte Zeit und mit unsicheren Aussichten genommen wurde. Zudem wird auch darauf verwiesen, dass in der Schweiz die Arbeit der Sexarbeiter- und Sexarbeiterinnen wieder gestattet ist und seitdem keine Corona-Fälle von Bordbellbesuchen bekannt wurden. Sichere Konzepte zum sicheren Arbeiten unter Corona wurden ihrerseits bereits vorgelegt.

Die im letztwöchigen Bericht angedeutete herannahende Krise, welche mit dem Ende des Corona-Schutzes für Mieter einherging, spitzt sich weiter zu und greift auch auf den Handel und das Gastgewerbe über. So fordern diese nun einen Anspruch auf Miet- bzw. Pachtminderung mit dem Argument, dass eine Stundung bzw. die Aussetzung der Pflicht über einen Insolvenzantrag nur bedingt Abhilfe schaffen, sondern das Problem der bevorstehenden Pleitewelle nur um ein paar Monate nach hinten verschiebe.

Divergierende Neuigkeiten kamen auch im Bereich der Corona-Warn-App (Beitrag von David Frechenhäuser) auf. Zwar sind steigende Nutzerzahlen zu verzeichnen (Stand vom 11.07.20: mehr als 15 Mio.), jedoch ist anzukreiden, dass der Zugang für ärmere und ältere Mitmenschen vollkommen fehlt. Der Grund liegt darin, dass diese wohl nur veraltete und daher nicht kompatible oder gar keine Smartphones besäßen. Kritiker fordern daher, dass diesen Menschen von Staats wegen ein passendes Gerät zugebilligt werden sollte, nachdem insbesondere auch ältere Menschen einen effizienteren und höheren Schutz genießen sollten. Zur fehlenden Nutzung auf älteren Handys kommt hinzu, dass ein fehlerfreier Gebrauch noch immer nicht gänzlich gewährleistet ist. So erscheinen bei Apple-Geräten regelmäßig Fehlermeldungen, auf allen weiteren Geräten wird zudem des Öfteren eine verwirrende Risiko-Mitteilung versendet. Während das Apple-Problem im Zuständigkeitsbereich des Geräteherstellers liegt, beruhigt das RKI im Hinblick auf die zweite Meldung. Die Benachrichtigung würde nicht bedeuten, dass ein Risiko bestünde. Im Gegenteil weist die Nachricht nur aus, dass man in den vergangenen zwei Wochen auf positiv getestete Personen getroffen wäre, aber aufgrund des zeitlichen Zusammentreffens und des Abstandes eine Infizierung aber ausscheide.

Einen Blick auf die Gesellschaft, wie sich diese verändert hat oder wo der Wandel schon wieder passé ist, liefert ein Essay von Jonas Schaible.