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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

39. Kalenderwoche

Die neue und 39. Kalenderwoche dieses Jahres begann mit einer erneuten Hiobsbotschaft der Weltgesundheitsorganisation. Das Coronavirus breite sich weltweit, insbesondere in Europa, immer schneller aus. Der WHO zufolge wurden in der vergangenen Woche weltweit 1.998.897 neue Corona-Fälle registriert. Dies sei ein Anstieg um sechs Prozent gegenüber der Vorwoche und damit die höchste Zahl an registrierten Fällen innerhalb einer Woche seit Beginn der Epidemie. Als Folge dieser Entwicklungen ließen erste Reaktionen europäischer Staaten nicht lange auf sich warten. Verkündeten beispielsweise England oder auch Schottland noch am Dienstag Verschärfungen ihrer Corona-Beschränkungen, befindet sich Madrid ob der lokal rasant steigenden Zahl an Neuinfektionen bereits in einem erneuten Lockdown. Selbst Schweden prüfe laut Medienberichten neuartige Quarantänemaßnahmen und Tschechiens Regierungschef Barbis bereue die Lockerungen der Corona-Maßnahmen in seinem Land. Demgegenüber wolle man in Deutschland weiterhin versuchen, an die Eigenverantwortung der Bürger zu appellieren. So hatte die Bundesregierung angesichts auch in Deutschland steigender Corona-Infektionszahlen zu „höchster Achtsamkeit““ aufgerufen. „Es kommt aktuell vermehrt zu Ansteckungen und Übertragungen innerhalb Deutschlands„, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Politik und Bürger hätten es nun in der Hand, „ob sich die Infektionszahlen wieder unkontrolliert ausbreiten„. Deutschland sei „in einer Phase der Pandemie, in der sich entscheiden wird, wie wir in diese Winter- und Herbstmonate hineingehen„. Auch aus Sicht des Virologen Christian Drosten müsse es künftig nicht zwangsläufig zu einer Neuauflage des Lockdowns vom Frühjahr kommen. Zwar wird „Die Pandemie jetzt erst richtig losgehen. Auch bei uns.“ Doch ist es „natürlich so, dass man nicht immer gleich einen deutschlandweiten oder regionalen Lockdown braucht, weil man jetzt schon ein paar Sachen besser weiß“, sagte der Charité-Professor der Deutschen Presse-Agentur am Montag in Berlin. Keineswegs dürfe dieser Kurs jedoch derart missverstanden werden, dass er Möglichkeiten für weitere Lockerungen von Corona-Maßnahmen eröffne, stellte Kanzleramtschef Helge Braun klar. Mit Blick auf die nächsten Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder am kommenden Dienstag sagte Braun in Berlin, man habe schon bei den letzten Gesprächen mit den Ministerpräsidenten festgestellt, dass momentan kein Anlass dafür gegeben sei, über weitere Lockerungen nachzudenken. Solche Lockerungen würden auch nicht durch die sich weiter ausbreitende neue Art der Risikobewertung impliziert, wie sie beispielsweise Armin Laschet diese Woche formulierte: „Mit Corona leben lernen bedeutet in erster Linie, alle Entwicklungen genau im Blick zu haben. Dabei dürfen wir nicht nur auf die reinen Infektionszahlen schauen„, sagte der CDU-Politiker dem Handelsblatt. Laschet forderte, die Kapazität der Krankenhäuser und die Zahl der intensivmedizinisch behandelten und beatmeten Covid-19-Patienten stärker in die Lagebewertung einfließen zu lassen. Gleiches gelte für den Anteil zurückverfolgbarer Infektionen, die Anzahl der Tests und den Anteil positiver Testergebnisse (so auch Ulrike Protzer). Aus diesem Grund sei eine Verschärfung der Maskenpflicht (eine solche forderte der deutsche Städte- und Gemeindenbund noch am Montag), aber auch bspw. Jens Spahn, kein Thema.

Vielmehr wolle man bundesweit bis auf weiteres versuchen, der Pandemie durch eine bessere medizinische Versorgung Einhalt zu gebieten. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verkündete insofern, man plane sich mit sogenannten Fieberambulanzen wappnen.  Für Patienten mit klassischen Atemwegssymptomen, die auf eine Corona- oder Grippeinfektion hindeuten, solle es zentrale Anlaufstellen geben, sagte Spahn der Rheinischen Post. Er setze darauf, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen solche Fieberambulanzen vor Ort anbieten würden. „Konzeptionell gibt es die schon – sie sollten im Herbst idealerweise flächendeckend zugänglich sein„, so Spahn.

Ein weiteres probates Mittel der „Corona-Prophylaxe“ stelle die seit mittlerweile 100 Tagen verfügbare Corona App dar. Die Macher der deutschen App, SAP und Deutsche Telekom, zogen Mitte der Woche anlässlich dieses Jubiläums ein positives Fazit. Die App funktioniere und man arbeite weiter an Verbesserungen, erklärte Peter Lorenz, Chefentwickler bei der Telekom-Tochter T-Systems. Das sei auch der Grund, warum sich inzwischen mehrere Länder an dem Open-Source-Code des deutschen Projektes bedienen würden. Die App wurde in den vergangenen 100 Tagen 18,4 Millionen Mal heruntergeladen. Da einige Anwender die App aber auch deinstalliert oder deaktiviert haben, gehen Experten von rund 15 Millionen aktiven Nutzern aus. Deshalb rief die Bundesregierung erneut dazu auf, die neue Corona-Warn-App für Smartphones auch mit Blick auf den Herbst und Winter intensiver einzusetzen. „Bitte nutzen Sie dieses Werkzeug in der Pandemie„, so Jens Spahn in Berlin am Mittwoch. Dazu gehöre, bei einem eigenen positiven Testergebnis auch seine Kontakte darüber zu informieren. Bisher passiere dies nur in etwa der Hälfte der Fälle. Demgegenüber sehen die Amtsärzte in Deutschland nur einen sehr geringen Nutzen der App. Da die Daten der App nicht automatisch an die Gesundheitsämter weitergeleitet werden, sei dieses Instrument in seiner derzeitigen Form „für uns keine große Unterstützung bei der schnellen Bekämpfung und Eindämmung von Corona-Ausbrüchen„, sagte die Verbandsvorsitzende der Amtsärzte, Ute Teichert, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sie betonte, die App spiele „in der alltäglichen Arbeit der deutschen Gesundheitsämter so gut wie keine Rolle“. Es komme äußerst selten vor, dass sich ein App-Nutzer wegen eines entsprechenden Warnhinweises bei den Ämtern melde. Die Politik habe entschieden, den Datenschutz über den Pandemieschutz zu stellen. „Das haben wir so zu akzeptieren„, sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.