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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

45. Kalenderwoche

Mit dem Beginn der ersten Novemberwoche war es nun soweit: Deutschland ist zurück im Lockdown, wenn auch nur in einem „Teil-Lockdown„. Noch bevor die neuen Maßnahmen überhaupt in Kraft treten konnten, hagelte es reichlich Kritik.

Wieso sollen Restaurants schließen, wenn sie gute Hygienekonzepte haben?
Wieso soll – schon wieder – die Kulturbranche leiden?
Wieso bleiben die Schulen offen?

Mit all diesen Fragen sah sich die Bundesregierung, allen voran Angela Merkel, auch konfrontiert, als sie sich am Montag den Journalisten in der Bundespressekonferenz stellte. Die Bundeskanzlerin betonte, dass die notwendige Kontaktverfolgung ab einer 7-Tages-Inzidenz von 50 Fällen pro 100’000 Einwohnern schlicht nicht mehr möglich sei. Der bundesdeutsche Durchschnitt lag zu Beginn der Woche bei über 127.

Ein anderer Indikator zur Einordnung des Pandemieverlaufs brach diese Woche gar einen traurigen Rekord: Zum ersten Mal seit Pandemiebeginn vermeldete das Robert Koch-Institut am Freitag 21’506 Neuinfektionen binnen eines Tages, wodurch nicht nur der erst tags zuvor aufgestellte Höchstwert von 19’990 registrierten neuen Fällen übertroffen, sondern auch erstmals die Marke von 20’000 Neuinfektionen überschritten wurde.

Die Zahlen gaben und gäben der Bundesregierung jedenfalls Grund genug die getroffenen Maßnahmen zu ergreifen, so Merkel.

In der gut 80-minütigen Pressekonferenz appelliert sie zudem an die Verantwortung jedes Einzelnen: „Unser Freiheitsbegriff ist darauf angelegt, Verantwortung zu übernehmen.“ Eine spezielle Verantwortung träfe einen jeden gegenüber den rund – und dabei sei die Zahl der Menschen mit Vorerkrankungen noch gar nicht eingerechnet – 30 Prozent der Bevölkerung, welche zur Risikogruppe gehörten, so Merkel. „Wir sind auf das Mitmachen und das Verständnis in unserem Land angewiesen.“ Es wäre auch „kein schönes Gesellschaftsbild, dass der eine sich um den anderen nicht kümmert und darüber gar keinen Gedanken verschwendet“.

Auch der nordrheinwestfälische Ministerpräsident Armin Laschet appellierte an die Vernunft der Bevölkerung und drückte seine Hoffnung aus, dass der Monat November mit verschärften Corona-Auflagen ausreicht, um die stark ansteigende Zahl von Infektionen zu stoppen. Ziel sei es, dass nach einem Monat die Welle gebrochen sei, sagte Laschet im WDR. Es werde alles getan, um sicherzustellen, dass die verschärften Regeln auf einen Monat beschränkt blieben. „Bleiben Sie zu Hause„, mahnte er die Bürger an.
Weiter noch ging gar Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, als er die Bevölkerung nicht nur zu Solidarität, sondern auch zu aktiver Mithilfe bei der Durchsetzung der neuen Maßnahmen durch Meldung konkreter Verstöße aufrief: „Das macht keiner gerne. Und dann kommt auch schnell der Gedanke auf, ‚Mensch, bin ich jetzt eine Petze oder gar ein Denunziant?‘, aber ehrlich gesagt: Im Moment geht es um richtig viel. Und deswegen können wir eine solche Mithilfe aus der Bevölkerung auch gut gebrauchen.“ Der SPD-Politiker unterstrich: „Jetzt haben wir es mit Infektionsschutz zu tun, und da ist es einfach auch richtig, wenn wir alle auch mitwirken.

Während die eine Corona-Verordnung in Kraft trat, gab es jedoch noch eine andere, namentlich die nordrhein-westfälische Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vom 22.03. 2020, welche diese Woche ebenfalls ins Zentrum der kollektiven Aufmerksamkeit rückte.
Entfacht hatte sich die Aufregung rund um diese Verordnung an einem Urteil des Amtsgerichts Dortmunds. Dieses hatte drei Männer freigesprochen, welche im Frühjahr gegen die damals geltenden Kontaktbeschränkungen verstoßen haben sollen. Seine Begründung: Ein derart gravierender Grundrechtseingriff bedürfe eines förmlichen Gesetzes durch das Parlament – und nicht nur einer Verordnung durch die Regierung.
Das Urteil (Az. 733 Owi 64/20) ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Laut Amtsgericht hat die Staatsanwaltschaft bereits Beschwerde eingelegt, über die jetzt das Oberlandesgericht Hamm entscheiden muss.

Auch die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen von Union und SPD wollten die gesetzliche Grundlage im Infektionsschutzgesetz für Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus präzisieren, auch um diese „gerichtsfester“ und im Allgemeinen rechtssicherer zu machen und einigten sich diese Woche über einen Gesetzesentwurf zur Neufassung des Infektionsschutzgesetzes. Wie bereits im Vorfeld der Debatte am Freitag beispielsweise über den Vize-Unionsfraktionsvorsitzenden Georg Nüßlein bekannt wurde, ginge es bei den Änderungen des dritten Bevölkerungsschutzgesetzes auch um Entschädigungsregelungen, etwa wenn Kinder in Quarantäne müssen. Zudem stünden die Fragen, wie man Testkapazitäten erweitere und wie man möglichst schnell möglichst viele Menschen impfen könne, sobald ein Impfstoff vorhanden sei, zur Debatte. Der aktuelle Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes, der nur sehr lokale und zeitlich beschränkte Maßnahmen bei Epidemien regele, solle um einen Paragrafen 28a erweitert werden, der konkretisiere, in welcher Reichweite der Bundestag Bundesregierung und Länder ermächtige, erläuterte Nüßlein. Alexander Dobrindt unterstrich, dass diese Änderungen explizit für die derzeitige Corona-Pandemie greifen sollen. Andere Pandemien bedürften möglicherweise anderer Maßnahmen – und keiner Kontaktbeschränkungen für die Bürger, so Dobrindt.

Bereits in Folge der ersten Lesung stieß der Gesetzesentwurf besonders von Seiten der Opposition auf Kritik.  FDP-Fraktionschef Christian Lindner bezeichnete den Gesetzentwurf als Enttäuschung und als Versuch, getroffene Entscheidungen nachträglich zu legitimieren. Der Bundestag habe „Kompetenzen an die Regierung abgegeben, die diese gar nicht mehr brauche“, so Linder, welcher weiterhin die fehlende effektive Beteiligung des Parlaments bedauerte.