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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

42. Kalenderwoche

München, Augsburg, die Landkreise Schwandorf, Mühldorf und Berchtesgarden bildeten nur die prominentesten Beispiele einer langen Liste bayerischer Städte bzw. Landkreise, welche den Inzidenzwert von 50 Neuinfektion pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche überschritten haben.

Ende der Woche erreichten sogar mehr als die Hälfte aller bayerischen Städte und Landkreise bedenkliche „Corona-Werte“. 24 Städte verzeichneten nach der Corona-Ampel des bayerischen Gesundheitsministeriums vom Sonntag einen Wert von mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Hinzu kamen 28 weitere Städte und Kreise, die den Frühwarnwert von mehr als 35 Neuinfektionen überschritten. Auch für Gesamtdeutschland meldeten die Gesundheitsämter nach Angaben des Robert Koch-Instituts bereits am Donnerstag mit 6.638 gemeldeten positiven Tests neue Rekord Corona-Infektionen innerhalb eines Tages, ehe am Folgetag dieser mit 7.334 neuen Fällen nochmal übertroffen werden sollte.
Die Bundesregierung geht von einem weiteren Anstieg der Zahlen aus: „Wir erwarten nicht, dass die Zahlen morgen geringer werden, sondern dass sie weiter steigen“, sagte Kanzleramtsminister Helge Braun am Freitag. Deutschland stehe „am Beginn einer wirklich großen zweiten Welle„, welche nun unterbrochen werden müsse.

Auch Angela Merkel appelliert dringend an die Bürger, eine weitere Verbreitung des Corona-Virus zu verhindern. „Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht unkontrolliert ausbreitet“, sagt sie in ihrem wöchentlichen Podcast. „Dabei zählt jetzt jeder Tag. Dafür müssen die Kontaktpersonen jedes infizierten Menschen benachrichtigt werden, um die Ansteckungsketten zu unterbrechen. Die Gesundheitsämter leisten dabei Großartiges, aber wo die Zahl der Infizierten zu hoch wird, da kommen sie nicht mehr hinterher.“

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht dagegen derzeit keine Veranlassung, über einen erneuten Lockdown nachzudenken: „Wir haben gelernt aus den letzten sechs Monaten – wir wissen heute, was gefährlich ist und was nicht. (…) Es gibt überhaupt gar keinen Grund für einen zweiten generellen Lockdown.“

Andere, allen voran Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, beschwören bereits einen solchen zweiten Lockdown herauf. „Wir sind dem zweiten Lockdown eigentlich viel näher, als wir es wahrhaben wollen“, sagte der CSU-Chef nach den Beratungen von Bund und Ländern. Es sei „vielleicht nicht mehr fünf vor Zwölf, sondern Schlag Zwölf„, um diesen zu verhindern, andernfalls drohten der Wirtschaft und der Gesellschaft erheblichste Schäden.

Vor dem Hintergrund dieser Unstimmigkeiten und insbesondere derer um das umstrittene Beherbergungsverbot, lud Angela Merkel die Ministerpräsidenten am Mittwoch zu einem erneuten „Corona-Gipfel“. Die Kanzlerin und die Vertreter der Länder kamen dafür erstmals seit Mitte Juni wieder in Präsenz zusammen, statt wie zuletzt via Videokonferenz zu tagen. Nach zähen Verhandlungen einigten sich Bund und Länder auf einen Maßnahmen-Katalog – für alle deutschen Risikogebiete wurden einheitliche Regeln erlassen. Darüber hinaus greifen diese bereits ab einer 7-Tage-Inzidenz von 35 Fällen pro 100.000 Einwohner. So soll Spätestens ab 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum überall dort gelten, wo Menschen dichter oder länger zusammenkommen. Weiterhin gilt ab einem Inzidenzwert von 50 eine verbindliche Sperrstunde ab 23 Uhr. Dazu gehört auch ein „generelles Ausgabeverbot von Alkohol“. Bars und Clubs sollen geschlossen werden. Bei einem Inzidenzwert von mindestens 35, aber unter 50, gilt dies nicht verbindlich, wird aber empfohlen.

Alle Bürger werden weiterhin dazu angehalten, genau abzuwägen, ob eine private Feier notwendig und vertretbar ist. In Regionen mit einem Wert von über 35 Neuinfektionen wird es eine Begrenzung von 15 Teilnehmern im privaten Raum geben. Ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen sollen private Feiern auf maximal zehn Teilnehmer aus höchstens zwei Hausständen im privaten Raum begrenzt werden.
Aber auch im öffentlichen Raum greifen Beschränkungen. So wird in Regionen mit einem Wert über 35 Neuinfektionen eine Begrenzung von 25 Teilnehmern gelten. Ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern sollen sich höchstens zehn Teilnehmer treffen dürfen. Brächten selbst die neuen Maßnahmen den Anstieg nicht zum Stillstand, wird dies auf bis zu fünf Personen oder die Angehörigen zweier Hausstände verringert.

Die neue Quarantänepflicht für Rückkehrer aus ausländischen Corona-Risikogebieten soll ab dem 8. November gelten. Danach gilt für Einreisende aus ausländische Risikogebieten ohne triftigen Reisegrund eine Quarantänezeit von zehn Tagen mit der Möglichkeit, sie durch einen negativen Test ab dem fünften Tag vorzeitig zu beenden. Die meisten Bundesländer hatten am vergangenen Mittwoch beschlossen, dass Bürger aus Hotspots bei Reisen innerhalb von Deutschland nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten, negativen Corona-Test vorlegen können.

Diese Beherbergungsverbote waren vor den Beratungen am umstrittensten. Bund und Länder fanden auch im Kanzleramt keine Einigung und vertagten das Thema erst einmal bis zum 8. November. Ergebnisse zu den Beherbergungsverboten lieferten dann ab Donnerstag aber die Gerichte. Der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof hielt bereits einen Tag nach dem „Corona-Gipfel“ das Verbot, in Hotels zu übernachten, für Gäste aus innerdeutschen Risikogebieten für unverhältnismäßig und hat dieses in einer Eilentscheidung außer Vollzug gesetzt. Ähnlich entschied auch das niedersächsische Oberverwaltungsgericht. Im Laufe der Woche fielen auch in den restlichen Ländern ähnliche teils gerichtliche Entscheidungen, ehe selbst Bayern am Freitag durch Entscheidung der Staatsregierung das Beherbergungsverbot für Reisende aus Corona-Hotspots in Bayern auslaufen ließ.