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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

26. Kalenderwoche

Mit der Welle der Lockerungen der vergangenen Wochen startet Bayern mit einem weiteren großen Schritt Richtung Normalität in die 26. Kalenderwoche. Mit der Aufhebung des Katastrophenfalls in der vergangenen Woche führt Bayern den Lockerungskurs weiter. Die neuerliche Öffnung des gesellschaftlichen Lebens betrifft auch die Bereiche Sport, Einkauf, Kultur und Sauna. Unter bestimmten Bedingungen sind nicht nur Feste und Gruppenreisen wieder möglich, auch seit Mitte der vergangenen Woche dürfen sich wieder bis zu zehn Menschen aus mehreren Haushalten im öffentlichen Raum treffen. Im Privaten wird nun auf jedwede Beschränkung verzichtet, entscheidend soll vielmehr sein, wie viele Menschen sich unter Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern in einem Raum aufhalten können. Seit Montag gelten auch für den Einzelhandel neue Bestimmungen. Die Änderung besagt, dass künftig maximal eine Person pro 10 Quadratmeter Fläche hineingelassen werden dürfen (vorher 20 Quadratmeter), außerdem soll die Maskenpflicht für die Beschäftigen im Theken- und Kassenbereich (auch Gastronomie, Hotels, u.ä.) wegfallen. Transparente Schutzwände werden nun für ausreichend erachtet. Für Besucher und Kunden änderte sich jedoch nichts an den bisherigen Regelungen. Größere private Feiern wie Geburtstage, Hochzeiten und dergleichen dürfen nun auch mit bis zu 50 Personen im Innenbereich und der doppelten Personenanzahl im Außenbereich durchgeführt werden. Großveranstaltungen und öffentliche Feste bleiben jedoch weiterhin bis 31. August verboten.Auch sog. Freiluft-Partys werden noch kritisch vom Innenministerium angesehen. So sei es zwar erlaubt mit bis zu 10 Personen zusammenzusitzen, Grillen oder Feiern soll aufgrund eines unüberblickbaren Infektionsrisikos nicht erlaubt sein. Begründet wurde dies damit, dass man nicht wissen würde, wer mitfeiere und sich dadurch infektionsketten nur schwer nachverfolgen ließen. Auch der Konsum von Alkohol insbesondere mit Hinblick auf den Mindestabstand wäre ein nur schwer kontrollierbares Geschehen und sei daher nicht akzeptabel.

Neuigkeiten gab es auch bezüglich des Corona-Ausbruchs in der Fleischfabrik Tönnies in Nordrhein-Westfalen. Der von Armin Laschet zunächst abgelehnte Lockdown wurde nun doch umgesetzt. Die zu Beginn beschwichtigende Haltung war auch deswegen umstritten, weil die Belegschaft in einer Vielzahl an Landkreisen und Gemeinden wohnhaft war und eine Kontrolle der Infektionen ohne Lockdown unmöglich schien. Dagegen wurde jedoch eingewendet, das Infektionsrisiko sei auf Personenkreise mit einem Bezug zu Tönnies begrenzt. Wie angedeutet und von der Tagesschau als „Lockdown Light“ betitelt wurden in zwei Kreisen in NRW wieder Einschränkungen eingeführt. Im Landkreis Gütersloh und dem Nachbarkreis Warendorf gelten nun erneut strenge Auflagen. Zunächst soll bis zum 30. Juni gelten, dass sich im öffentlichen Raum nur noch zwei Menschen oder Menschen aus einem Familien- oder Haushaltsverbund miteinander treffen dürfen. Auch Freizeitaktivitäten wurden zum Teil wieder untersagt, genannt seien dabei Kinos, Fitnessstudios, Hallenschwimmbäder und Bars, anders hingegen Geschäfte und Restaurants, welche von erneuten Schließungen ausgenommen bleiben. Die Einschränkungen wurden allerdings für den Kreis Gütersloh verlängert, anders für den Kreis Warendorf, dort sollen sie schon mit dem morgigen Tag aufgehoben werden. Eine harte Folge des Infektionsgeschehens in Nordrhein-Westfalen ist jedoch, dass bereits einige Bundesländer beschlossen haben, Betroffene aus dem neuen Risikogebiet nur unter bestimmten Auflagen einreisen zu lassen. Ein Beispiel für derartige Bestimmung sind ein 14-tägiges Quarantänegebot in Schleswig-Holstein für Urlauber aus den betroffenen Gebieten. In Baden-Württemberg ist es den Risiko-Reisenden sogar verboten in dem Bundesland zu übernachten. Die strengen Regelungen finden ihre Begründung vor allem in der anstehenden Urlaubssaison in den Sommerferien. Auf der Insel Usedom wurden Urlauber aus dem Kreis Gütersloh sogar aufgefordert, Mecklenburg-Vorpommern zu verlassen. Österreich verhing zudem eine Reisewarnung für ganz NRW. Damit steht das deutsche Bundesland auf einer Stufe mit der chinesischen Provinz Hubei und der italienischen Lombardei.

Wie es auch schon gegenüber Angehörigen des Kreises Heinsberg vorkam, erfahren nun zum Teil auch die nordrhein-westfälischen Bewohner in den betroffenen Kreisen eine gefährliche Stigmatisierung (Beitrag von Neumayer Ingo und Wolf Christian). So wird davon berichtet, dass Unbekannte wohl ein Auto mit dem einschlägigen Kennzeichen „GT“ zerkratzt hätten oder auch der Versuch gestartet wurde, die Autos zweier rumänischer Schlachthof-Arbeiter anzuzünden. Gerade Münster wurde von Landrat Adenauer stark kritisiert, weil diese zum einen Behandlungen im dortigen Uniklinikum nur durchführen würden, wenn Patienten mit einem Wohnsitz in einem der betroffenen Kreise einen negativen Test vorweisen könnten. Auch speziell für die Öffentlichkeit und den Arbeitsplatz wurden verordnet, dass Ansässige der Risikogebiete (Großraum Gütersloh und Warendorf) einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen hätten, wo ein Abstand nicht möglich wäre. Auch andere Landkreise beabsichtigen derartige Regelungen einzuführen, wie unter anderem das niedersächsische Osnabrück. Mit Vorsicht zu betrachten bleibt auch die Nachricht, dass wohl nun auch in diesem Gebiet vermehrt positive Corona-Tests zu verzeichnen sind, welche wohl unabhängig vom Kreis der Belegschaft von Tönnies auftraten. Die Zahl beläuft sich bisher auf 75 (Stand: 28.06.20); zu vermuten ist jedoch, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. Ob dies ein Ausufern der Tönnies-Infektionen bedeutet oder rein auf das Erhöhen des Testaufkommens zurückzuführen ist, bleibt jedoch umstritten.

Zwei positive Meldungen haben sich gegen Ende der Woche noch ergeben. Zum einen ist in Planung, dass Corona-Tests bald kostenfrei in Bayern für jedermann möglich sein sollen. Nach Angaben der Gesundheitsministerin Huml sollen Kosten, welche nicht von der Krankenkasse übernommen werden, demnach vom Freistaat getragen werden. Bezüglich der Kostentragung meldeten sich auf Bundesebene schon vorher kritische Stimmen (Beitrag von Franciska Engeser), welche eine finanzielle Überforderung der gesetzlichen Krankenkassen anprangerten, die stark zugunsten der Privatkassen ging. Zudem steigt die Anzahl der Corona-App-Nutzer immer weiter und befindet sich nun auf dem Stand von 13 Millionen (Stand: 26.06.20). Wie die App funktioniert, insbesondere wenn man selbst als Infizierter ein positives Testergebnis in der App hinterlegt, ist hier (Beitrag von Kristin Becker) nachzulesen.

Hinzuweisen sei auch auf die Warnung der WHO vor „Immunitätsnachweisen“. Nachdem einige Länder vorgeschlagen haben, Menschen mit überstandener Covid-19-Erkrankung einen Immunitätsnachweis auszustellen, mahnt die Weltgesundheitsorganisation vor einem solchen Vorgehen. Dies stützt sie zum einen darauf, dass die These, Antikörper würden immun gegen das Virus machen, noch nicht ausreichend wissenschaftlich gedeckt sei. Zum anderen wurde auch schon in Deutschland Diskussionen laut, welche eine Zweiklassengesellschaft befürchten ließen. Die WHO gibt zudem zu bedenken, dass durchaus fälschlicherweise ein Test eine Immunität bescheinigen könnte, nachdem der Virus auch bei anderen Erkrankungen mitspiele und damit bei einem Test nachgewiesen würde. Zudem könnten Personen mit Immunitätsnachweis– in der Annahme, sie seien immun – auf Vorsichtsmaßnahmen verzichten. Bereits Mitte Mai war das Thema in Deutschland präsent und befeuerte vielerlei Diskussionen rund um die Wahrung der Menschenrechte. Mit Rückbezug auf die damalige Berichterstattung hieß es, die Einführung eines Immunitätsausweises sei in Deutschland im Kabinett vom Tisch. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn betonte dennoch damals weiterhin die Vorteile dahingehend, dass dies beispielsweise auch für die Erkrankung mit Gelbfieber ein gängiges Verfahren sei. Die vom Gesundheitsminister beantragte Stellungnahme des Ethikrats steht noch aus. Das Gremium beriet erstmals diese Woche Donnerstag, mit einer Stellungnahme war in der 26. Kalenderwoche jedoch nicht mehr zu rechnen. Die schon dargelegten diametralen Standpunkte hinsichtlich der fehlenden wissenschaftlichen Basis zur Immunität und die Gewichtigkeit im Hinblick auf Grundrechte bleiben jedoch aktuell. In der SPD sollte laut einem Bericht der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ die Idee nun wieder ein Thema sein; sie sollte Spahn Zustimmung signalisiert haben. SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas betonte im Nachgang jedoch, dass ihre Aussage falsch zitiert worden sei. Sie stellte klar, dass ein Immunitätsausweis undenkbar sei, solange dies wissenschaftlich nicht erwiesen sei. Hingegen führte sie dennoch an, dass für den Fall eines solchen wissenschaftlich fundierten Immunitätsnachweises eine Stigmatisierung ihrer Meinung nach nicht zu befürchten wäre.

Wie sich in den kommenden Wochen mit dem Beginn der Sommer- und Urlaubssaison die Corona-Situation entwickelt, bleibt abzuwarten. Das große Chaos mit dem Start der Sommerferien in sechs Bundesländern ist bisher jedoch ausgeblieben, mancherorts stießen zwar einige Orte an ihre Kapazitätsgrenzen, dies ist wohl aber nicht pauschal auf sämtliche beliebte Urlaubsorte übertragbar.

Aufsehenerregend war auch der der Vorwurf der SPD gegenüber der Staatsregierung, sie hätte Rechtsbruch begangen. Inhalt der Kritik der SPD ist, dass das Parlament kaum bis gar nicht in den Prozess der Bewältigung der Corona-Pandemie einbezogen wurde. Diese Missbilligung weist die Staatsregierung, ebenso wie die CSU-Abgeordneten aber zurück und argumentieren damit, dass ein schnelles Handeln erforderlich war und in den späteren Phasen die Minister in den Landtags-Ausschüssen beteiligt worden waren. Die SPD hat angesichts ihrer Vorwürfe daher nun einen Gesetzesentwurf Anfang der Woche vorgelegt, welcher mehr Beteiligung für die Abgeordneten vorsieht. Konkret dazu sichern die Grünen ihre Unterstützung zu, während auch die FDP-Fraktion anmahnt, es sei nun an der Zeit für mehr Parlamentsbeteiligung.