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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

24. Kalenderwoche

Überschattet von den nun auch in Deutschland angekommenen Protesten der „Black Lives Matter“-Bewegung rund um den Tod George Floyds, rückte die monatelang dominante, primäre „Corona-Berichterstattung“ diese Woche erstmals etwas in den Hintergrund. Bereits am vorherigen Wochenende (06.06/07.06) hatten sich jeweils mehrere zehntausend, besonders junge Demonstranten in Deutschlands Großstädten zusammengefunden, um sich mit „People of Color“ zu solidarisieren, allgemein gegen systematischen Rassismus einzustehen und sich speziell öffentlichkeitswirksam gegen Polizeigewalt gegenüber Minderheiten einzusetzen. Doch wie sich die letzten Monate bereits kein Thema einer Rezeption im Kontext der Pandemie entziehen konnte, waren auch die Demonstrationen der „Black Lives Matter“-Bewegung nicht vor einer derartigen, besonders gesellschaftlichen, aber auch rechtlichen Einordnung gefeit. Stellvertretend äußerte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn beispielsweise auf Twitter besorgt darüber, dass er sich aufgrund der konkreten Durchführung bzw. der Vorkommnisse während der Demonstrationen um den bisherigen und zukünftigen Erfolg der „Coronamaßnahmen“ sorge.

Ganz unmittelbar aber auch fühlten sich die Organisatoren der Anti-Corona/Grundrechte-Demonstrationen in der Folge benachteiligt (Beitrag von Stefan Karl), wurden doch deren Demonstrationen bisher regelmäßig besonders mit Verweis auf die staatliche Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger gem. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in ihrer Teilnehmerzahl begrenzt. Die Politik wies diesen Vorwurf einer Ungleichbehandlung unverzüglich und vehement zurück. Weshalb aber schon die unterschiedlichen Themenschwerpunkte der Demonstrationen durchaus ein solches, möglicherweise sogar intendiertes Vorgehen rechtfertigen könnten, stellte Joachim Hermann in seiner Stellungnahme im Nachgang der Kundgebungen dar: „Anders gestalten sich in der Regel die so genannten ‚Corona-Demonstrationen‘. Hier verhalten sich die Teilnehmer oft bewusst provokant, indem sie keine Maske tragen und die Sicherheitsabstände absichtlich nicht einhalten.“
Ob und wie sich diese Vorwürfe in einer dezidierten juristischen Debatte vorsetzen, wird sich in der Folge zeigen.

Unabhängig davon setzt sich der eingeschlagene Kurs sukzessiver Lockerungen fort. Pünktlich zum Start in die neue Woche öffnet auch Deutschland seine Grenzen am Montag, den 15.06, faktisch wieder. Die Bundesregierung informierte auf ihrer Homepage dahingehend, dass die pandemiebedingt vorübergehend wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen zu Österreich, der Schweiz, Frankreich, Italien und Dänemark mit Ablauf des 15. Juni 2020 endeten. Die Grenzkontrollen im Luftverkehr zu Spanien würden hiernach in beiden Richtungen zum 21. Juni 2020 außer Vollzug gesetzt. Mit Wegfall der Binnengrenzkontrollen endeten auch die Einreisebeschränkungen sowie die Corona-bedingten Fahndungs- und Kontrollmaßnahmen. Weiterhin gelten für die Mitgliedstaaten der EU, das Vereinigte Königreich, die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein individuelle Reisehinweise, wodurch die Länder selbst über mögliche Einreiseverbote entscheiden.

Das thüringische Kabinett erließ am 9. Juni die Thüringer Verordnung zur Neuordnung der erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie zur Verbesserung der infektionsrechtlichen Handlungsmöglichkeiten. Diese trat am 13. Juni offiziell in Kraft und gilt vorerst bis zum 15. Juli. Hierin wurde das bisherige Verbot, sich mit mehr als einem weiteren Haushalt bzw. mehr als zehn Menschen zu treffen, auf eine Empfehlung reduziert und die in § 2 der Verordnung festgehaltenen Kontaktbeschränkungen faktisch aufgehoben. Die bayerische Landesregierung in Person von Gesundheitsministerin Melanie Huml kritisierte diese Lockerungen jedoch aufs Schärfste. Es sei unverantwortlich, dass Thüringens Regierung an ihrem umstrittenen Kurs beim Umgang mit der Corona-Pandemie festhalte. Demgegenüber besteht Bayern weiterhin auf seine strengere Fassung der Kontaktbeschränkungen, statuiert in
§ 2 der Fünften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (5. BayIfSMV) vom 29. Mai 2020. Weiterhin sollen behutsam nach und nach kleinere Lockerungen in Kraft treten. So sind beispielsweise seit Montag, den 15. Juni, wieder  Kulturveranstaltungen wie Konzerte, Theatervorstellungen und Kinobesuche mit begrenzten Zuschauerzahlen möglich. Dieses Vorgehen bestätigte das bayerische Verfassungsgericht in einem Urteil vom 8. Juni nun weitestgehend erneut. Mit einer durch Eilantrag gestützten Popularklage bezweckten die Antragsteller
die 5. BayIfSMV werde für verfassungswidrig bzw. nichtig erklärt und somit sofort außer Vollzug gesetzt. Das Gericht wies den Antrag überwiegend zurück, stellte aber insofern klar, dass dieser auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick auf die den Bereich des Sports betreffende Ordnungswidrigkeitsvorschrift in § 21 Nr. 7 5. BayIfSMV durchaus Erfolg habe. Diese sei insoweit vorläufig außer Vollzug zu setzen, als sie sich lediglich über mehrere Verweisungen auf das allgemeine Abstandsgebot des § 1 Abs. 1 5. BayIfSMV beziehe und einer Prüfung hinsichtlich des speziellen Bestimmtheitsgebots des Art. 104 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung nicht standhalte.