Die Maßnahmen und ihre Auswirkungen
Bundesweit war das Maßnahmenpaket insbesondere geprägt von der vielfach erwähnten Abstandsregelung. Davon ausgenommen waren Angehörige eines Hausstandes. Einzelheiten bzw. weitere Maßnahmen divergierten von Bundesland zu Bundesland. Insbesondere erforderten folgende, kurz dargestellte Maßnahmen und deren fragwürdige Umsetzung eine kritische Auseinandersetzung.
Allgemein: Rechtsgrundlage, Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit
Schon zu Beginn begehrten viele Rechtsgelehrte und Dogmatiker auf und wiesen, wohl zurecht, darauf hin, dass ein Rückgriff auf § 28 I 2 IfSG für Ausgangsbeschränkungen und -sperren wohl jeder Legitimität entbehrte (Beitrag: Andrea Kießling). Diesbezüglich reagierte der Gesetzgeber umgehend und korrigierte die Fassung dieses Paragrafen. Das absolute Verbot des Verlassens eines Ortes konnte nun auf § 28 I IfSG geschützt werden, ebenso wie auch nur eine eingeschränkte Ausformung dessen. Zur Begründung der Änderung des § 28 I IfSG wurde angeführt, diese würde aus Gründen der Normenklarheit vorgenommen werden. Dahingehend erstarkten jedoch erneut die Kritiker und verwiesen darauf, dass die Norm weiterhin zu unbestimmt sei bzw. einen allzu großen Anwendungsbereich habe. Die Problematik sei darin zu sehen, dass die Auslegung der Norm in den Verantwortungsbereich der jeweiligen zuständigen Behörden fiele. Ihnen obliege im Einzelfall zu gewährleisten, dass die Maßnahmen nicht unverhältnismäßig seien. Zudem wurde vielfach angemerkt, dass die Konsequenz in der Umsetzung sei, dass der Betroffene einer gewissen Willkür (Beitrag: Tobias Schulze) ausgesetzt werde.
Bezüglich dieses Themas ergaben sich demzufolge diverse Problemfelder. Weder war eine zeitliche Begrenzung der Maßnahmen vorgesehen noch waren die Tatbestandsvoraussetzungen umschrieben. Ebenso fehlte es der Art der Maßnahmen an einer detaillierteren Ausführung. Damit ging die Forderung verschiedener Rechtsgelehrter einher, es bedürfe einer ständigen sorgfältigen Überprüfung der Maßnahmen (Beitrag: Professor Dr. Ludger Giesberts LL. M., Dr. Michael Gayger und Philip Weyand, NVwZ 2020 417.), insbesondere auch in Hinblick auf Geeignetheit und Erforderlichkeit.
Kritisch (Beitrag: Oliver Lepsius) hinzuzufügen sind auch Stimmen, welche schon den legitimen Zweck der Maßnahmen als falsch formuliert erachteten und mahnten, dass es schon am Bezug zu einem Infektionsrisiko fehle. So sei beispielhaft hervorgehoben, dass das Sitzen auf einer Parkbank mit dem nötigen Abstand zu Personen anderer Hausstände weder das Infektionsrisiko erhöhe noch es gewiss sei, ob dies als Folge die Ansammlung von Unvernünftigen zu verzeichnen hätte.
Versammlungsverbot
Auch das Versammlungsverbot, welches viele Corona-Verordnungen enthielten, wies die bereits geschilderten Probleme auf. So wurde kritisiert, dass es dem legitimen Zweck wohl nicht widerspreche, würde man sich unter Einhaltung des Infektionsschutzregelungen versammeln. Die zum Teil als Grund angeführte Erklärung, eine Versammlung könnte mit Hinblick auf Gegenprotestanten oder dem Stehenbleiben von Interessierten zu Verstößen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen führen, wurde nicht als hinreichend plausibel (Beitrag: Stephanie Lamprecht)verstanden. Auch in ihrer Dogmatik und ihrem Rechtsverständnis litten viele Begründungen auch an evidenten Fehlern (Beitrag: Andreas Gutmann, Nils Kohlmeier). Die Einschränkung dieses gewichtigen Grundrechts in einer Zeit der Unsicherheit und Lethargie war damit mehr als alles andere rechtfertigungsbedürftig und hätte gegebenenfalls eine verfassungsrechtliche Überprüfung erfordert.
Bestimmtheit der Corona-Verordnungen auf Landesebene
Rechtsunsicherheit entstand vielerorts auch auf Landesebene, nicht nur auf Bundesebene durch das IfSG. Jedoch fanden unbestimmte Corona-Verordnungen auf Landesebene wohl schon ihren Ausgangspunkt in der Unbestimmtheit der oben beleuchteten Bundesnorm. Dies liegt daran, dass die Vorschrift die Verantwortung auf die im Einzelfall zuständige Behörde verlagert. Somit sahen sich auch in den verschiedenen Bundesländern die Bürger mit unbestimmten Rechtsbegriffen konfrontiert. Beispielhaft seien folgende Einzelfälle (Beitrag: Kai Biermann) genannt: In Sachsen sinnierten die Bewohner darüber, wie weit das „Umfeld des Wohnbereichs“ reichte, denn nur innerhalb dieses Bereichs durften sie sich zur Bewegung an der frischen Luft nach draußen begeben. Auch ein Jongleur durfte im Park keine Pause machen und wurde von der Polizei des Parks verwiesen, da in Berlin ebenfalls nur Sport und Bewegung erlaubt war Die Beamten trafen den Betroffenen aber in jenem Moment an, in welchem er sich eine kurze Verschnaufpause genehmigte. Die Herausforderung für den Bürger und das Verständnis, welches ihm abverlangt wurde, waren groß. Wie schon angedeutet, ergab sich aus der Unbestimmtheit für den Bürger allerdings auf der Gegenseite ebenso eine Unsicherheit für den Rechtsanwender. Somit war beispielsweise auf Seiten der Polizei oft von Willkür (Beitrag: Xenia Balzereit) die Rede. Andererseits muss ihnen dennoch zugestanden werden, dass die Beamten schließlich selbst nur auf Grund unklarer Regelungen an der Hand tätig werden mussten. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass selbst eine gerichtliche Klärung (Beitrag: Stefan Aigner) kaum Klarheit brachte und dennoch die Auslegung der Regeln am Ende der Polizei oblag.
Glaubhaftmachung des Grundes
Eine bayerische Besonderheit, welche z.T. auch in anderen Bundesländern in gleicher Form umgesetzt wurde (Sachsen-Anhalt, Berlin), war das sogenannte Glaubhaftmachen eines Grundes. Die Bedeutung dessen schlug sich nieder in den Ausgangsbeschränkungen bzw. -sperren. So bedurfte es in diversen Corona-Verordnungen auf Länderebene eines triftigen Grundes, das Haus zu verlassen (beispielhaft: § 14 der Berliner Verordnung). Ein Verlassen des ständigen Aufenthaltsortes musste gegenüber Polizei und Ordnungsamt glaubhaft gemacht werden können. Dies hatte zur Folge, dass zum Teil Menschen aufgrund der daraus folgenden Rechtsunsicherheit das Haus nur mit einer Einkaufstasche verließen. Auf bayerischer Ebene hat sich bezüglich des Glaubhaftmachens daher auch die nachkommende Situation ergeben: Auf die Nachfrage eines Bürgers hin, ob das Lesen auf einer Parkbank ein sog. zwingender Grund sei, wurde dies von der Polizei München verneint. Die Beamten bezogen sich damit auf den Wortlaut des § 5 III der 2. BayIfSMV, welcher inhaltlich vorgab, dass nur die dort aufgeführten Gründe das Verlassen der eigenen Wohnung rechtfertigen. Das Lesen eines Buches auf einer Parkbank konnte keinem der genannten Gründe zugeordnet werden. Ministerpräsident Markus Söder widersprach dieser Aussage dann in einem Interview und legitimierte das Anliegen des Bürgers, solange die Abstandregeln eingehalten würden. An der geschilderten Sachlage zeigt sich die große Rechtsunsicherheit, welcher die Bürger ausgesetzt wurden.
Herausforderung für den Föderalismus
Hinterfragt wurde des Öfteren besonders der Sinn des Regelns auf Landesebene. Der Bundesgesetzgeber intendierte, dass die Bundesländer spezifisch auf regionale Besonderheiten oder epidemiologische Lagen in den Ländern und Landkreisen reagieren konnten. Während dies einerseits den Eindruck eines Flickenteppichs erweckte, dem es vor allem an Überschaubarkeit mangelte, schien der Föderalismus andererseits sinnvoll. Befürworter (Beitrag: Oliver Lepsius) wiesen darauf hin, dass die unterschiedlichen Regelungen auf Landesebene die grundrechtlich gebotene Suche nach milderen Mitteln begünstigte.