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Corona-Diskurs

Prof. Dr. Katrin Gierhake, LL.M.

Die Ausgangsbeschränkung in Ansehung eines rational denkenden Vernunftwesens

Klima- und Landwirtschaftspolitik, Sozial- und Migrationspolitik, Verkehrs- und Drogenpolitik – eine für sich nicht abschließend zu sein behauptende Aufzählung verschiedener Politikfelder, in denen die jeweils verantwortlichen politischen Akteure es überwiegend vermissen lassen, ihr Handeln an dem Maßstab einer auf rationaler Vernunft basierenden Politik zu messen. Unter solch einem Handeln wird hierbei verstanden, dass Entscheidungen möglichst unbeeinflusst von der in der Natur des Menschen angelegten sinnlichen Affektion getroffen werden. Das heißt, der Entscheidungsträger sollte während des Entscheidungsfindungsprozesses sicherstellen, die eigene Emotionslage möglichst auszublenden. Um der obigen Aufzählung noch ein weiteres Glied hinzuzufügen, eignet sich dieser Tage wohl nichts besser als die Politik während der weiterhin andauernden Corona Pandemie.

Um den in ihnen, liebe Leserinnen und Leser, im Nachklang dieser einleitenden Worte möglicherweise keimenden Gedanken, das Nachfolgende würde einer Corona verleugnenden oder verharmlosenden Gesinnung entspringen, in seinem Wachstum zu ersticken, sei an dieser Stelle bereits vorab erwähnt, dass dies kein in diese Richtung zielender Beitrag werden soll. Statt über eine für den Staat, wie von mancher Seite impulsiv vorgetragen, rein destruktive Politik herzuziehen, möchte der Autor eine auf rationaler Vernunft selbst und auf mit rationaler Vernunft erdachten Gesetzen (und Rechtsverordnungen) fußende Pandemiepolitik anmahnen. In dieser Vorstellung soll ein nicht rein rational denkendes Subjekt, das seine Handlungsmaximen an deren Tauglichkeit zur Allgemeingesetzlichkeit, also an dem von Kant eingeführten rein formalem kategorischen Imperativ misst, in der Person eines politischen Akteurs gedacht werden.

Einem solchen Subjekt wäre wohl zunächst einmal, und dies in sehr aufdringlicher Weise, die im Laufe der Pandemie angeordnete nächtliche Ausgangsbeschränkung ein Dorn im Auge. Dieses seit der Verkündung im Bundesgesetzblatt vom 18. November 2020 mittels des Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite im § 28a I 1 Nr. 3 Alt. 1 IfSG verankerte Instrument soll der Eindämmung einer Ausbreitung des Coronavirus und der Ermöglichung der notwendigen Nachverfolgung von Infektionen dienen.[1] Im O-Ton heißt es in der dazugehörigen Bundestagsdrucksache, „Als notwendige Schutzmaßnahmen können Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum erforderlich sein, um eine Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 einzudämmen und um die notwendige Nachverfolgung von Infektionen wieder zu ermöglichen“.[2] Nun geht es in dem dort zu Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen Angeführten vorwiegend um Letzteres, erfährt doch der Begriff der Ausgangsbeschränkung nach seiner zweiten und zugleich letzten Erwähnung im zweiten Satz des Abschnitts in diesem keine dritte. Demgegenüber wird der Begriff der Kontaktbeschränkung bzw. des Kontaktes zu anderen Subjekten überhaupt dort wiederholt genannt. Die Begründung der Ausgangsbeschränkung wird auch bei dem Versuch, zwischen den Zeilen zu lesen, nicht wirklich vernehmbarer. Dabei bedürfte es einer solch sichtbaren und in ihrer Tiefe und Logik überzeugenden Begründung in Ansehung der unbedingt notwendigen Tauglichkeit zum Allgemeinen Gesetze allemal. In Ermangelung dessen und einer differenzierten Sachverhaltsbetrachtung jedoch, ermöglicht es das Instrument der Ausgangsbeschränkung, es Menschen zu verbieten, sich in einem gewissen abendlich-nächtlichen Zeitrahmen aus ihrem Zuhause zu begeben. Teilweise kommt es hier mit diversen Ausnahmen, die beispielsweise medizinische Notfälle, die berufliche Tätigkeit oder die (Haus)Tierpflege betreffen zwar doch zu einer differenzierten Betrachtung, allerdings fehlt eine solche für einen in wirklich bedenklicher Weise von der Regel erfassten Fall. Dieser Fall meint den einfachen Spaziergang (ohne Haustier). Nun führt man sich ein Subjekt vor Augen, dass seinen abendlichen Spaziergang, den es nun ab einer bestimmten Uhrzeit zu unterlassen hat, dazu nutzt um die Erlebnisse des Tages zu reflektieren oder aber um während des Spaziergangs zu neuen Ideen für sein Tun zu gelangen. Es ließe sich auch sagen, den Spaziergang, um einfach die Gedanken schweifen zu lassen, kennt doch jeder. Aus dem Volksmund hieße es hierauf dann, der Betroffene könne doch seinen Spaziergang auch zu einer anderen Uhrzeit machen. Nur hat das den Volksmund nicht zu interessieren, wann der Einzelne spazieren zu gehen gedenkt. Dementsprechend sind auch die oben genannten Gründe lediglich der Versuch, die Diversität der denkbaren Gründe anklingen lassen. Dem Gesetzgeber fehlt jedenfalls das Wissen, welchen Stellenwert jener Spaziergang für das jeweilige Subjekt hat. In Anbetracht dessen verbietet es sich dem Volksmund sodann, von dem Spaziergänger eine Antwort auf die Frage nach dem Warum und des Wann seines Handelns zu erwarten. Es ist schlicht seine notwendige Freiheit, die ihm als vernunftbegabtes Subjekt aufgrund seiner Menschenwürde zusteht. Ebenso notwendig wie sie selbst ist, gestattet sie es ihm, sich zu welcher Tageszeit auch immer aus seinem Zuhause zu begeben. So übertrieben es klingen mag, im Kontext eines banalen Spaziergangs mit der Menschenwürde zu argumentieren, handelt es sich dabei doch schlichtweg um eine logische Herleitung eines „Rechts -auf-spazieren-gehen“, der auch unser Grundgesetz bei der Deduktion unserer Freiheitsrechte (und dem Gleichheitsrecht) folgt.

Nun kann das Subjekt seinen Spaziergang während dem in Kraft sein einer Ausgangsbeschränkung nicht mehr nach seinem Belieben wahrnehmen, und zwar aus infektionsschutzrechtlichen Gründen. Zwar möchte ich mich als Nicht Mediziner nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, doch traue ich mir es durchaus zu, der Ansicht zu sein, ein einzelnes Subjekt könne sich bei einem nächtlichen Spaziergang, der ihn beispielsweise durch den Regensburger Stadtpark führt, nur sehr schwerlich mit dem Coronavirus infizieren. Selbst wenn ihm ein anderes Subjekt bei seinem Spaziergang entgegenkäme, lässt sich eine Nähe der Subjekte und eine so mögliche Ansteckung ohne Probleme vermeiden – indem man schlichtweg einen Bogen umeinander macht. Dies in einem derart gearteten Fall zu tun, erkennt das vernunftbegabte Subjekt ohne Weiteres. Einzig der Gesetzgeber scheint nicht auf diesen Gedanken zu kommen. Worin sonst der Grund liegen könnte, dem Einzelnen eine Handlung zu verbieten, mit der er in einer solchen Situation den Infektionsschutz nicht im Geringsten gefährdet, erschließt sich mir nicht.

Erntet man nun verfassungsrechtliche Kritik für u.a. diese Ausgangsbeschränkung, fällt einem der Volksvertreter nichts Besseres ein, als zu versuchen, die Kritisierenden mit teils wahrheitswidrigen Verlautbarungen zu diskreditieren.[3] Solch politisches Handeln ist freilich das eines Einzelnen, aber zeigt sich wiederum der Mangel an auf rationaler Vernunft getroffener Entscheidungen. Wobei eine solche unterirdische Reaktion auf berechtigte Kritik nicht mehr für Verwunderung sorgen sollte, steht sie doch im Zusammenhang eines Gesamtkomplexes, der auch die Ausgangsbeschränkung in dieser Form, also ohne eine Ausnahme, die dem Subjekt auch ohne Hund einen nächtlichen Spaziergang gestattet, erfasst.

 

Auf nicht-rationaler Vernunftbetätigung basiertes Handeln lässt sich überdies bei der Betrachtung eines weiteren Aspekts der Begründung der Ausgangsbeschränkung feststellen. Nämlich wird dort auf eine Erklärung von Wissenschaftlern verwiesen[4], die den Vorschlag enthält, den Vorzug von privaten Kontakten an der frischen Luft zu betonen[5], wohingegen in der Bundestagsdrucksache keineswegs zwischen Kontakten in Innenräumen und solchen im Freien differenziert wird[6]. Gegenüber Wissenschaftlern, deren Arbeitsweise, zu versuchen die Natur zu verstehen und diese dem Laien zu erklären, gerade auf der Betätigung ihrer rationalen Vernunft beruht, wird nicht nur dort eine geradezu bedenkliche Ignoranz an den Tag gelegt. So erzählte auch Michael Mayer-Hermann, selbst am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung tätig, beim Besuch einer Sendung von Markus Lanz[7] von Beratungen diverser Ministerpräsidenten, die am folgenden Tag plötzlich ganz abweichend von der am Vortag erfahrenen Beratung durch die Wissenschaft entschieden. Dies zeigt, inwiefern die Politik wissenschaftliche Evidenz teilweise anscheinend gewissenlos übergeht. Damit einhergehend verbaut sie sich aber ein Handeln, dass einen Weg entlang auf rationaler Vernunft getroffener Entscheidungen ebnet.

Um eine ausufernde Ausführung zu vermeiden, wird es unterlassen, auf während der Pandemie getroffene Entscheidungen einzugehen, die scheinen, als hätten sie von dem moralischen Teil einer auf rationaler Vernunft beruhenden Entscheidung noch gar nie etwas erfahren. Sonst würde es aber auch wirklich traurig.

[1] BT Drucksache 19/23944, S. 31.
[2] Ebd.
[3] vgl. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-verfassungsrecht-kritik-hirte-kingreen-tweet-rechtswissenschaft-bundestag-experten/
[4] BT Drucksache 19/23944, S. 31.
[5] Gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Coronavirus-Pandemie: Es ist ernst, S. 6.
[6] BT Drucksache 19/23944, S. 31.
[7] Sendung vom 29.04.2021.