Das Interview finden Sie auf der Mediathek der Mittelbayerischen Zeitung
MZ: Sie sind Initiatorin des Blogs „mitdenken.ur.de“, der sich kritisch mit den Corona-Maßnahmen auseinandersetzt. Wie kam es dazu?
Professor Gierhake: Auslöser war die persönliche, ganz subjektive Schockstarre angesichts der tiefen Einschnitte in die Freiheitsrechte der Bürger. Ich habe mit den Vorbereitungen für den Blog während des Lockdowns Ende März begonnen, im Mai sind mein Team und ich dann an den Start gegangen. Mich hat vor allem besorgt, dass es sich bei den Maßnahmen um tiefe Eingriffe in Grundrechte handelte. Ich habe mir sofort gedacht: So einfach und ohne genaues Hinsehen darf das nicht vonstattengehen. Man muss jeden Eingriff rechtfertigen und nicht umgekehrt rechtfertigen, wenn man diese Eingriffe wieder verwirft.
MZ: Wichtig ist Ihnen dabei der Diskurs. Haben Sie den Eindruck, dass der in Sachen Corona funktioniert?
Professor Gierhake: Das Problem ist: Man kann etwas Richtiges sagen, aber wenn man von den Falschen zitiert wird, dann bekommt man ein Problem. Aus meiner Sicht ist der Diskurs zwischenzeitlich etwas besser geworden, denn zumindest wird diskutiert, welche Maßnahmen überhaupt noch sinnvoll sind und welche nicht. Aber insgesamt stelle ich fest: Das Interesse am Blog ist da. Beim Schreiben von Beiträgen zeigt sich aber eine große Zurückhaltung.
MZ: Woher kommt das?
Professor Gierhake: Bei den Studierenden herrscht wohl eine gewisse Angst vor, sich zu äußern. Und bei den Kollegen scheint mir eine auch medienvermittelte Angst vorzuherrschen, dass man plötzlich den Verschwörungstheoretikern zugeordnet wird. Es ist ein Paradoxon, dass wir in einem freien Land leben, aber man Angst haben muss, was man sagt. Es kann natürlich auch sein, dass die Maßnahmen als gut und richtig akzeptiert werden und deshalb keine kritischen Beiträge verfasst werden. Ich habe aber den Eindruck, dass sich langsam kritische Debatten etablieren. Auch die haben eine Durchschlagskraft, werden aber von der Politik noch weitgehend ignoriert.
MZ: Aber wo sehen Sie denn das Problem? Ist unsere Freiheit wirklich eingeschränkt, nur weil wir im Supermarkt Maske tragen?
Professor Gierhake: Wenn es nur das wäre! Die Beschränkungen treffen noch immer ganze Berufszweige, Kinder werden infiltriert von Ängsten, müssen z. T. in der Schule stundenlang Masken tragen – so wie auch viele Verkäufer/innen, Gastwirte, etc. – und klagen dann über Kopfschmerzen, Schwindel, u.V.m.; sie können die üblichen Bildungsangebote nicht mehr oder nur eingeschränkt nutzen (Schwimmkurse, Sprachkurse, Chöre etc.). Auch die Besuchsbeschränkungen in Krankenhäusern und Altenheimen sind massive Freiheitsbeeinträchtigungen. Wir können keine wissenschaftlichen Tagungen, Vorlesungen, Diskussionen etc. in Präsenzform an der Uni machen. Demonstranten sollen an der frischen Luft Masken tragen, obwohl es nachweislich kein erhöhtes Krankheitsaufkommen nach den Massenprotesten in Berlin und anderswo gab. Das ist etwa so, als sollte ein Orchester ohne Instrumente spielen. Es herrscht durch die aktuelle Ausweisung von Risikogebieten und der damit verbundenen Quarantänepflicht ein faktisches Reiseverbot in fast alle Länder der Erde. Wer kann es sich schon leisten, nach einer Woche Urlaub einfach noch eine Woche zu Hause zu bleiben? Die Gesellschaft wird in einer Weise polarisiert, dass ich mir ernsthaft Sorgen um den sozialen Zusammenhalt mache. Bei jeder einzelnen freiheitsbeschränkenden Maßnahme müssten die Gegenargumente gründlich gesichtet und berücksichtigt werden; das betrifft die Notwendigkeit der Maßnahme, den Grad der Freiheitsbeeinträchtigung und ihre negativen Auswirkungen für den Einzelnen. Und man müsste überprüfen, ob sie überhaupt durch rechtliche Grundlagen gedeckt sind, bevor man sie erlässt – was bei sehr vielen der Maßnahmen mehr als fraglich war und ist. Zudem muss man die Frage stellen: Sind angesichts der seit Monaten gleichbleibenden, minimalen Krankheits- und Todeszahlen überhaupt noch staatliche Freiheitseingriffe gerechtfertigt?
MZ: Aber die Ratschläge der Wissenschaft, an die sich die Politik von Anfang an weitgehend hielt, sind doch eindeutig.
Professor Gierhake: Ist das so? Erst kürzlich haben Wissenschaftler des Deutschen Netzwerks evidenz-basierte Medizin die Frage aufgeworfen (und verneint), ob unser Umgang mit der Pandemie angesichts der Zahlen überhaupt noch richtig ist. Hunderte von Ärzten und Wissenschaftlern melden sich tagtäglich zu Wort und bestreiten die angeblich so eindeutigen „Ratschläge der Wissenschaft“, die im Wesentlichen immer von denselben Personen und Institutionen stammen. So etwas muss zumindest in die öffentliche Debatte; die Medien haben hier eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, der sie bisher nicht hinreichend gerecht geworden sind.
MZ: Sie haben auf ihrem Blog auch einen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung verlinkt, der die Überschrift trägt: „Was, wenn die Covidioten recht haben?“ Wie unterscheidet man kritische Stimmen von Covidioten, die die Gefahren verharmlosen?
Professor Gierhake: Sehen Sie, wenn andere, die zu zehntausenden auf die Straße gehen, ohne genauere Prüfung ihrer Argumente pauschal als „Covidioten“ bezeichnet werden, wer ist dann der Dummkopf? Zu Beginn der Pandemie mag die Datenbasis noch sehr dünn gewesen sein. Damals trafen Politiker, mit denen ich nicht tauschen möchte und vor denen ich insofern höchsten Respekt habe, Entscheidungen, die auch von weiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen wurden. Aber jetzt ist die Datenbasis eine andere. Doch diskutiert wird das noch nicht ausreichend, schon gar nicht in den üblichen, großen Medien.
MZ: Aber blicken Sie doch in andere Länder! Da geht es schon wieder los, die Zweite Welle schwappt über Frankreich und Italien, die Beatmungsplätze werden wieder knapp!
Professor Gierhake: Um diese Situation dort beurteilen zu können, müsste ich die Presse und die wissenschaftliche Diskussion in diesen Ländern verfolgen und mir genaue Kenntnis über die Situation dort verschaffen. Ich habe das nur für Deutschland getan. Ich kann nur sagen, dass es auch dort Erklärungsansätze gibt, warum die Situation anders war als hier: Das Gesundheitssystem in Italien ist z.B. viel schwächer aufgestellt als in Deutschland; die Zusammensetzung der Bevölkerung, die Unterschiede im kulturellen Zusammenleben, die Umweltbedingungen usw. unterscheiden sich zum Teil erheblich. Wie die Infektions-, Krankheits- und Todeszahlen sich in den einzelnen Ländern genau entwickelt haben, vermag ich nicht einzuschätzen. All das müsste in Studien genauer überprüft werden.
MZ: Ihr Blog trägt auch das Impressum des Universitäts-Präsidenten. Haben Sie da keinen Ärger bekommen?
Professor Gierhake: Zu Beginn hat man mir geholfen, den Blog technisch zu starten. Ich wurde dabei von der Pressestelle und dem Rechenzentrum unterstützt. Irgendwelche Einschränkungen inhaltlicher Art habe ich nicht.
MZ: Haben wir auch etwas gelernt aus der Pandemie?
Professor Gierhake: Ich glaube, wir haben viel darüber gelernt, wie fragil unsere Gesellschaft ist.
Die Fragen der Presse zeugen entweder von einer zum Himmel schreibenden Naivität und Unwissenheit oder einer sehr bedenklichen Heuchelei. Es bestätigt sich das, was Sie so zweifeld hinterfragen.
Danke für Ihren guten Beitrag heute in der MZ !
Ich kann nur unterstreichen, was Sie sagen und aus meiner Berufserfahrung ergänzen:
Vor kurzem erhielt ich von der Regierung der Oberpfalz einen Widerspruchsbescheid , in dem mein Antrag auf Kostenübernahme für die Pflichtmasken abgelehnt wird. Ich hatte für einen chronisch kranken erwerbsunfähigen Grundsicherungempfänger die Kostenübernahme speziell für die ffp 2-Masken beantragt, da er zur Risikogruppe gehört. Die Antwort der Regierung: Bei den Masken handele es sich um „Bestandteile der Kleidung“ , darum sei dies durch den Regelsatz für Grundsicherungsempfänger abgedeckt. Und speziell die ffp 2-Masken seien dem medizinischen Personal vorbehalten . Die angebliche Sorge der Landesregierung um die Risikogruppen ist – wie ich nicht zum ersten Mal erlebe – offenkundig eine Heuchelei zu politischen Zwecken.
Die Antworten von Frau Prof.Katrin Gierhake auf die zum Teil recht provokativen Fragen des Redakteurs Dr.Eckl habe ich als mutig, engagiert und sehr sachlich empfunden.
Welch Verdienst für die MZ, endlich mal auch andere Meinungen zum gesellschaftlichen Gesinnungswart-Wahnsinn als das staatlich verordnete und zementierte Corona-Dogma zuzulassen….nach dem alten römischen Rechtsgrundsatz „audiatur et altera pars“ !
Der mittlerweile so oft verwendete, abwertende Begriff „Covidiot“ ( auch von einer Möchtegern-Volkspartei-Chefin als Schimpfwort für Kritiker an der „offiziellen“ und nicht mehr als beweglich wahrgenommenen Regierungslinie verwendet) wird nach Einlassung der Professorin für Strafrecht( nicht nur der Rechtsphilosophie …wie schon wieder verharmlosend vom Redakteur notiert) ins richtige Licht gesetzt:
sie antwortet „wer ist dann der Dummkopf“?
Daß mit Corona keine zweite Welle kommt, sondern uns ein neuer( oder altbekannter) mutierter Virus eine „Dauerwelle“ beschert, der man wie vielen anderen bisher registrierten infektiösen Krankheiten mit wissenschaftlich begründbarer Gelassenheit begegnen muss und nicht mit Panikmache, sollte Allgemeingut werden.
Allgemein genutzt werden sollte deswegen das erstaunliche gesellschaftliche Engagement der Rechts-Professorin an der Uni Regensburg, das sie mit dem Blog „mitdenken.ur.de“ begründet hat.
Ihre Antwort die letzte Frage des Interviewers hat mich wirklich betroffen gemacht.
Sie sagt: „Ich glaube, wir haben gelernt, wie fragil unsere Gesellschaft ist.“
Kürzlich wurde die Antwort der Bundesregierung zur Anfrage einer Beteiligung von Rechtsextremisten an den Protesten gegen die Corona-Politik veröffentlicht. Die Antwort:
Es beteiligten sich von Anfang an „nur in einigen Fällen“ und inzwischen „mit zunehmend geringerer Beteiligung“ Rechtsextremisten an den Protesten gegen die Corona-Politik . Die Anfrage war von der Bundestagsfraktion DIE LINKE mit dem Titel „Mögliche Unterwanderung der Corona-Proteste“.
DIE LINKE hatte gefragt, welche Erkenntnisse Polizei und Geheimdienste hierzu haben:
Die Antwort der Bundesregierung ,nachzulesen in der Bundestagsdrucksache BT 19/20774: „Eine Beteiligung von Rechtsextremisten am Demonstrations- und Versammlungsgeschehen im Zuge der COVID-19-Pandemie erfolgte nach Kenntnisstand der Bundesregierung nur in einigen Fällen und aktuell augenscheinlich mit zunehmend geringerer Beteiligung als zu Beginn dieser Versammlungslagen. Aufrufe zur Teilnahme an entsprechenden Kundgebungen werden in rechtsextremistischen Kreisen mittlerweile kaum mehr festgestellt. Aus Sicht der Bundesregierung deutet sich teilweise ein Rückzug rechtsextremistischer Kreise aus diesem Kampagnenfeld an.“
Der Vorwurf der Massenmedien und der Parteien, die Proteste seien von rechts unterwandert, war also von Anfang an falsch. Wo bleibt die Entschuldigung für die rufmörderische Unterstellung ? Ich habe bisher nirgendwo eine Entschuldigung gelesen. Ja ich habe bisher nicht einmal irgendwo in den Medien einen Bericht über obige Antwort der Bundesregierung gefunden. Die Antwort wird also totgeschwiegen, der Rufmord wird fortgesetzt…