I. Einleitung
Schon zu „Normalzeiten“ stellen Schwangerschaftsabbrüche für die betroffenen Frauen häufig eine seelische und körperliche Ausnahmesituation dar. Der Zugang zu der gewünschten medizinischen Behandlung wird durch verschiedene Hürden erschwert: Nur wenige Mediziner*innen führen in Deutschland überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durch, erforderliche Informationen sind wegen des Werbeverbots des § 219a StGB nur schwierig auffindbar und viele Frauen befürchten eine Stigmatisierung, da Schwangerschaftsabbrüche in vielen gesellschaftlichen Kreisen noch immer ein Tabuthema sind. Die COVID-19-Pandemie verschärft die schwierige Lage, in der sich ungewollt Schwangere ohnehin befinden. Deshalb haben (Frauenrechts-)Organisationen die Politik aufgefordert, die sichere Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen auch in Krisenzeiten zu gewährleisten.1Siehe nur das Joint civil society statement: “European governments must ensure safe and timely access to abortion care during the COVID-19 pandemic” vom 08.04.2020 unter Beteiligung zahlreicher europäischer Organisationen, abrufbar z.B. unter https://www.djb.de/static/common/download.php/savepm/4301/pm20-13_Joint%20Civil%20Statement_Covid19_Abortion.pdf. Ausgehend von einer Darstellung der aktuellen Rechtslage zu Schwangerschaftsabbrüchen, zeigt dieser Beitrag auf, welchen (zusätzlichen) Einschränkungen und Gefahren ungewollt Schwangere in Pandemiezeiten ausgesetzt sind, um im letzten Teil Reaktionsmöglichkeiten zu diskutieren und auf ihre Rechtmäßigkeit zu untersuchen.
II. Die aktuelle Rechtslage
Die Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch beruht im Wesentlichen auf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die dieses in seinem „2. Fristenregelungsurteil“ aufgestellt hat.
Demnach kommt dem Staat eine Schutzpflicht für das ungeborene Leben zu,2BVerfG, NJW 1993, 1751, LS. 1, 2. die es erfordert, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten werden und der Schwangeren die Pflicht zum Austragen des Kindes auferlegt wird.3BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 3, 4 Hiervon können jedoch zugunsten der Schwangeren Ausnahmen vorgesehen werden, wenn die Schwangerschaft für sie unzumutbar ist.4BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 7. Zudem hat das BVerfG für das erste Trimester der Schwangerschaft die staatliche Schutzpflicht als erfüllt angesehen, wenn die Schwangere sich vor dem Abbruch einer Beratung unterziehen muss, die das Ziel verfolgt, das ungeborene Leben zu bewahren.5BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 11. Der Schwangerschaftsabbruch darf unter dieser Voraussetzung zwar straflos bleiben, ist jedoch als rechtswidrig anzusehen.6BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 15.
Der Gesetzgeber hat diese verfassungsrechtlichen Vorgaben mehr oder weniger7Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, Vor §§ 218 – 219b, Rn. 9. einfachrechtlich in den §§ 218 bis 219b StGB sowie im Schwangerschaftskonfliktgesetz umgesetzt. § 218 StGB stellt die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs unter Strafe und kommt so der Forderung des BVerfG nach, dass Abbrüche grundsätzlich strafrechtlich zu verbieten sind. § 218a StGB macht hiervon in abgestufter Intensität Ausnahmen. § 218a Abs. 1 StGB schließt vom Tatbestand des § 218 StGB solche Abbrüche aus, die von der Schwangeren verlangt werden und bei denen die Schwangere dem Arzt/ der Ärztin eine Bescheinigung über ein Beratungsgespräch vorlegen kann, wenn der Abbruch von einem Arzt/ einer Ärztin vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Damit nutzt der Gesetzgeber die vom BVerfG eröffnete Möglichkeit, im ersten Trimester der Schwangerschaft den Lebensschutz durch Beratung zu gewährleisten.8Vgl. insoweit auch Nr. 2 der Vollzugsanordnung des BVerfG, NJW 1993, 1752. Gleichzeitig kommt er mit dem Tatbestandsausschluss der Forderung nach, dass ein Abbruch, der auf der letztendlich freien Entscheidung der Schwangeren beruht, nicht als gerechtfertigt angesehen werden darf.9Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 218a StGB, Rn. 3; Fischer, § 218a StGB, Rn. 3 ff. § 218a Abs. 2 und 3 StGB stellen Rechtfertigungsgründe in Form spezieller Notstandsregelungen dar.10Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 21, 22; Fischer, § 218a StGB, Rn. 14. Abs. 2 rechtfertigt den Abbruch, wenn dieser zum gesundheitlichen Schutz der Schwangeren angezeigt ist; Abs. 3 dann, wenn die Schwangerschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer Sexualstraftat herrührt. Damit regelt der Gesetzgeber die Konstellationen, in denen die Schwangerschaft für die Schwangere unzumutbar ist und in denen ausnahmsweise ihr Recht auf Selbstbestimmung das Lebensrecht des Ungeborenen überwiegt.11Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 22; Fischer, § 218a StGB, Rn. 15. § 218a Abs. 4 S. 1 StGB stellt einen persönlichen Strafausschließungsgrund für die Schwangere dar, wenn entgegen § 218a Abs. 1 StGB der Abbruch nach der zwölften Woche, aber noch vor der zweiundzwanzigsten Woche vorgenommen wird. Inwiefern dies mit den Vorgaben des BVerfG vereinbar ist, ist jedoch umstritten,12Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 69. da es zumindest für die Schwangere einen Abbruch auch noch nach dem ersten Trimester der Schwangerschaft ermöglicht. Darüber hinaus bietet § 218a Abs. 4 S. 2 StGB die Möglichkeit einer fakultativen Straffreiheit für die Schwangere, wenn diese sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.
Ebenfalls strafbewehrt sind, neben der Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs selbst, die Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB) sowie das Inverkehrbringen von Mitteln zum Abbruch der Schwangerschaft (§ 219b StGB). Die schwierige Abgrenzung zwischen zulässiger reiner Information über Schwangerschaftsabbrüche und nach § 219a StGB unzulässiger Werbung ist aufgrund der Verurteilung einiger Mediziner*innen, die Informationen zur Abtreibung auf ihrer Website bereitstellen/ bereitgestellt haben, Gegenstand gesellschafts- und rechtspolitischer Diskussion.13Kraatz, NStZ-RR 2020, 97, 101. Auch die Einführung weiterer Ausnahmetatbestände in § 219a Abs. 4 StGB Anfang 201914Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 22.3.2019 (BGBl. I S. 350). hat daran wenig geändert.
III. Pandemiebedingte Einschränkungen des Zugangs zu Schwangerschaftsabbrüchen
Die aktuelle COVID-19-Pandemie schränkt den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter ein.15Siehe dazu auch die Pressemitteilung „Schwangerschaftsabbrüche in Zeiten der Corona-Krise“ von Doctors for Choice Germany e.V. vom 22.03.2020, abrufbar unter https://doctorsforchoice.de/2020/03/pm-schwangerschaftsabbruch-corona/. Zum einen können Kapazitätsengpässe in Kliniken und Praxen oder vorübergehende Praxisschließungen aufgrund von Quarantäne den Zugang zur Behandlung erschweren. Dies gilt umso mehr, als Unklarheit darüber besteht, ob Schwangerschaftsabbrüche zu den medizinisch notwendigen Eingriffen zählen oder als elektive Eingriffe verschoben bzw. abgesagt werden können. Schwangerschaftsabbrüche müssen jedoch zeitnah erfolgen, da sie sonst medizinisch riskanter werden und auch rechtlich nicht mehr möglich sind. Hinzu kommt, dass einige der Ärzt*innen, die bislang Abbrüche durchgeführt haben, aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe der COVID-19-Erkrankung zählen.16Fischhaber, „Wir müssen jetzt Frauenleben retten“, in: Süddeutsche Zeitung, 16.04.2020, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/leben/corona-abtreibungen-kristina-haenel-1.4877744. Es ist daher zu erwarten, dass die schon vor der Krise häufig weiten Anfahrtswege zu Abtreibungskliniken und -praxen noch weiter werden.
Hier tritt ein weiteres Problem auf: weite Anfahrtswege in Zeiten eingeschränkter Mobilität. Aktuell bestehende oder eventuell wiederaufzunehmende Ausgangsbeschränkungen können dazu führen, dass es für die Frauen unmöglich oder zumindest rechtfertigungsbedürftig ist, die erforderlichen Termine für Untersuchungen, die Pflichtberatung, den eigentlichen Abbruch und die Nachsorge außer Haus wahrzunehmen. Wegen der Ansteckungsgefahr werden diese Termine ein Risikofaktor für alle Beteiligten. Für ungewollt schwangere Mütter, die aufgrund der Schließung von Kitas und Schulen ihre minderjährigen Kinder ganztägig betreuen müssen, sowie für Frauen, die selbst unter Quarantäne stehen, ergeben sich weitere Zugangsschwierigkeiten. Besonders gravierend stellt sich die Lage für Schwangere dar, die als Opfer häuslicher Gewalt noch stärker in der Möglichkeit beschränkt sind, aus der Wohnung und vor den Täter*innen zu fliehen. Das Gleiche gilt für Frauen, die sich in Ländern aufhalten, in denen der Schwangerschaftsabbruch illegal oder stark eingeschränkt ist. Sie können aufgrund von Reisebeschränkungen möglicherweise nicht mehr ins Ausland reisen, um dort einen Abbruch durchzuführen. Wollen sie dennoch das Kind um keinen Preis austragen, steigt die Gefahr, dass sie aus der Not heraus eine Selbstabtreibung durchführen, die mit erheblichen Gefahren für ihr Leben und ihre Gesundheit verbunden ist.17Es bestehen zumindest Anhaltspunkte dafür, dass Beschränkungen oder Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen die Quote von Abtreibungen nicht (signifikant) verringern, sondern vielmehr zu vermehrten Selbstabtreibungen außerhalb medizinischer Regulierung führen, vgl. etwa Sedgh et al., Abortion incidence between 1990 and 2014: global, regional, and subregional levels and trends. Lancet 2016, Vol. 388, 258, 263 ff., abrufbar unter https://doi.org/10.1016/S0140-6736(16)30380-4.
Eine letzte, emotionale Hürde erwartet die Schwangeren schließlich bei der Durchführung des Abbruchs selbst. Dürfen die Patientinnen sich pandemiebedingt innerhalb der Behandlungsräume nicht mehr von Vertrauenspersonen begleiten lassen, bleibt die empathische Betreuung an dem medizinischen Personal hängen – oder fällt vollends weg.
IV. Reaktionsmöglichkeiten in Krisenzeiten
1. Einordnung als Teil der Notfallbehandlung
Um die Rechtssicherheit für alle beteiligten Akteure zu erhöhen, sollte klargestellt werden, ob es sich bei Schwangerschaftsabbrüchen um einen Teil der Notfallbehandlung oder um planbare und aufschiebbare, sogenannte elektive Eingriffe handelt. Auf politischer Ebene hat zu diesem Zweck die Fraktion DIE LINKE (sowie mehrere Fraktionsabgeordnete) einen Antrag beim Bundestag eingereicht, bundesweit klarzustellen, dass Schwangerschaftsabbrüche als Notfallbehandlungen gesichert werden müssen.18BT-Drucks. 19/18689 vom 16.04.2020. Zuvor hatten die Bundeskanzlerin und die Regierungschef*innen der Länder nämlich beschlossen, dass alle planbaren Eingriffe, soweit medizinisch vertretbar, ab 16.3.2020 verschoben oder ausgesetzt werden sollten, wobei die Entscheidung über die Verschiebbarkeit von den behandelnden Ärzt*innen getroffen werden sollte.19BT-Drucks. 19/18193 vom 27.03.2020, S. 42 f. Die Durchführbarkeit elektiver Eingriffe ist mitunter in Landesverordnungen näher geregelt. Inzwischen werden elektive Eingriffe aufgrund des Rückgangs der COVID-19-Patient*innen zwar wieder aufgenommen,20Faktenpapier Neuer Klinikalltag des Bundesministeriums für Gesundheit vom 27.04.2020, abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Faktenpapier_Neuer_Klinikalltag.pdf; Gemeinsames Statement von DGCH, DGAI, BDC und BDA zur Wiederaufnahme von elektiven Operationen in deutschen Krankenhäusern vom 27.04.2020, abrufbar unter https://dgou.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/News/News/2020/Wiederaufnahme_elektiver_Eingriffe_Statement_2020_04_27.pdf. für den Fall weiterer Krankheitswellen bleibt die Frage nach der Einordnung von Schwangerschaftsabbrüchen aber relevant.
Welche Operationen im klinischen Alltag zu den dringend notwendigen oder zu den planbaren, aufzuschiebenden Eingriffen gehören, ist im Allgemeinen unklar.21Petersen et al., Coronavirus-Pandemie und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und Unfallchirurgie: Operationen, Risiken und Prävention?, Knie Journal, 2020, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s43205-020-00052-1. Betrachtet man die Rechtfertigung für die Aufschiebung elektiver Eingriffe, zeigt sich, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht darunter fallen können. Elektive Eingriffe können nämlich deshalb verzögert werden, weil dadurch weder Patient*in noch endgültiges Ergebnis einen wesentlichen Schaden nehmen.22Petersen et al., Coronavirus-Pandemie und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und Unfallchirurgie: Operationen, Risiken und Prävention?, Knie Journal, 2020, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s43205-020-00052-1. Abtreibungen sind dagegen rein rechtlich überhaupt nur in einem engen Zeitfenster möglich; zudem steigt mit zunehmendem Gestationsalter die Komplikationsrate.23Schwenzer, T., Schwangerschaftsabbruch, Gynäkologe 2010, 35, 38, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s00129-009-2390-2; Schneider H. / Beller F. K., Schwangerschaftsabbruch, In: Schneider H. / Husslein P. / Schneider KT.M. (Hrsg), Die Geburtshilfe, 2006, S. 59. Andererseits handelt es sich bei Abtreibungen grundsätzlich nicht um Notfallbehandlungen in dem Sinne, als dass eine Verletzung oder Erkrankung vorliegt, bei der ein operativer Eingriff eine signifikante Funktionsbeeinträchtigung verhindern würde.24Vgl. zu dieser Definition Petersen et al., Coronavirus-Pandemie und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und Unfallchirurgie: Operationen, Risiken und Prävention?, Knie Journal, 2020, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s43205-020-00052-1. Denn Schwangerschaftsabbrüche sind – mit Ausnahme der medizinisch indizierten25Derartige Fälle, in denen der Schwangerschaftsabbruch erforderlich ist, um die Frau vor der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung zu schützen, müssen als Notfallbehandlungen gelten, s. auch die Wertung des § 12 Abs. 2 SchKG. – weder Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge noch Heileingriffe.26BVerfG NJW 1993, 1751, 1768. Gegen eine Einordnung als Notfallbehandlung spricht zudem, dass Abtreibungen nur unter engen Voraussetzungen überhaupt legal und Ärzt*innen gem. § 12 Abs. 1 SchKG nicht verpflichtet sind, daran mitzuwirken.
Andererseits ist nach Einschätzung des Gesetzgebers der Schutz des ungeborenen Lebens durch die Beratungslösung effektiver zu erreichen als durch eine Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs um jeden Preis.27BT-Drucks. 12/2605, S. 3 ff. Anstatt in die Illegalität getrieben zu werden, soll die Frau durch die Beratung in ihrer Eigenverantwortlichkeit bestärkt und zugleich ermutigt werden, sich für ihr Kind zu entscheiden.28BT-Drucks. 12/2605, S. 3 ff. Damit werden faktisch zugleich ihre eigenen Interessen und Rechte geschützt.29Insbesondere das Recht der Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 I GG), auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG) und auf Achtung ihrer Persönlichkeitsrechte (Art. 2 I GG). Wenngleich deshalb in der Mehrzahl der Fälle keine medizinische Notwendigkeit für die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs besteht, sind diese, was ihre Aufschiebbarkeit betrifft, sowohl zum Schutz der Schwangeren als auch des ungeborenen Lebens entsprechend den Notfallbehandlungen und nicht als elektiver Eingriff zu behandeln. Solange die vorhandenen Kapazitäten nicht überschritten sind,30Zur Rechtslage bei Triage-Entscheidungen vgl. etwa Engländer/Zimmermann, „Rettungstötungen“ in der Corona-Krise?, Die Covid-19-Pandemie und die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und Intensivmedizin, NJW 2020, 1398. sind sie deshalb auch in Zeiten der Pandemie gleichermaßen – und vorrangig vor tatsächlich elektiven Eingriffen – durchzuführen.
2. Vermeidung von Ausgang und Kontakt
Um die Infektionsgefahr zu verringern und gleichwohl die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen zu ermöglichen, kommen mehrere Möglichkeiten in Betracht.
a) Digitalisierung bzw. Abschaffung der Pflichtberatung
Bereits jetzt haben die meisten Bundesländer den Weg für eine digitale Durchführung der Schwangerenberatung über Telefon oder Videochat eröffnet.31Hecht, Kein Ende der Beratungspflicht, in: taz, 20.03.2020, abrufbar unter: https://taz.de/Schwangerschaftskonfliktberatung/!5672957/. Damit kann weiterhin die erforderliche Pflichtberatung sichergestellt werden, ohne die Beteiligten einer erhöhten Infektionsgefahr auszusetzen. Es wird diesbezüglich berichtet, dass die digitale Beratung für die Schwangeren auch weniger belastend sei, da sie in einer gewohnten Umgebung stattfinden kann.32Zattler, in: Menrad, So verändert die Corona-Krise Schwangerschaftsabbrüche, in: Abendzeitung, 23.04.2020, abrufbar unter: https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.probleme-mit-aerzten-und-krankenkassen-so-veraendert-die-coronakrise-schwangerschaftsabbrueche.8a1b9c36-604b-4886-84ac-ac8155fc9e6c.html. Damit kann das eigentliche Ziel der Konfliktberatung, nämlich die Schwangere vom Austragen des Kindes zu überzeugen, sogar gefördert werden, da unter Umständen ein offeneres Gespräch möglich ist. Andererseits ist die Konfliktberatung in vielen Fällen lediglich eine leidige Formalie, die über Telefon oder Videochat sogar noch angenehmer „erledigt“ werden kann.
Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hat indes beantragt, dass die verpflichtende Konfliktberatung in Corona-Zeiten ganz entfallen und lediglich als freiwilliges Angebot für die Schwangeren bestehen bleiben sollte.33BT-Drucksache 19/18689. Mag dies aus der Praxis der Beratungsgespräche verständlich sein, da eine Entschlossene regelmäßig ohnehin beratungsresistent ist und eine Unentschlossene wohl auch freiwillig eine Beratung in Anspruch nehmen würde, ist dieser Weg nach der Rechtsauffassung des BVerfG nicht gangbar. Danach kann der Abbruch im ersten Trimester der Schwangerschaft nämlich nur deshalb erfolgen, weil der Schutz des ungeborenen Lebens in dieser Zeit durch die Konfliktberatung als milderes Mittel bewahrt wird. Würde man die Pflichtberatung streichen, müsste der Lebensschutz wieder durch das strafrechtliche Verbot sichergestellt werden.
b) Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch zuhause
Andere Staaten, beispielsweise Großbritannien, haben für die Corona-Zeit die Möglichkeit eröffnet, bis zur zehnten Schwangerschaftswoche eine medikamentöse Abtreibung zuhause vorzunehmen.34National Health Service, abrufbar unter: https://www.nhs.uk/conditions/abortion/what-happens/. Dabei werden zwei Wirkstoffe eingesetzt: Zunächst Mifepriston, das die Weiterentwicklung der Schwangerschaft verhindert und zur Ablösung der Gebärmutterschleimhaut und des Fruchtsackes führt. Gleichzeitig öffnet sich der Gebärmuttermund und die Gebärmutter zieht sich zusammen. 36 bis 48 Stunden später wird dann das Präparat Prostaglandin eingenommen, das die Wirkung von Mifepriston verstärkt und innerhalb weniger Stunden zu einer Abbruchblutung führt.35Famlienplanung.de, Der medikamentöse Abbruch, abrufbar unter: https://www.familienplanung.de/beratung/schwangerschaftsabbruch/der-medikamentoese-abbruch/#c61532.
Die medikamentöse Abtreibung wird auch in Deutschland neben dem chirurgischen Eingriff praktiziert; allerdings muss die Schwangere die beiden eingesetzten Medikamente unter ärztlicher Aufsicht einnehmen.36Familienplanung.de, Der medikamentöse Abbruch, abrufbar unter: https://www.familienplanung.de/beratung/schwangerschaftsabbruch/der-medikamentoese-abbruch/#c5929. Der Grund hierfür liegt in § 218a StGB, wonach Schwangerschaftsabbrüche „von einem Arzt vorgenommen“ werden müssen. Hierbei beschränkt man sich aber allein auf die ordnungsgemäße Einnahme. Die auf das zweite Medikament folgende Abstoßung der Leibesfrucht wird nicht überwacht.37Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 58. Ob man die Norm auch dahingehend auslegen kann, dass die Ausgabe der Präparate von Ärzt*innen ausreicht, und die Schwangere diese alleine daheim einnehmen kann, erscheint fraglich. Der Wortlaut des Gesetzes erfordert, dass Ärzt*innen den Abbruch vornehmen und damit einen beherrschenden Einfluss auf den Verlauf des Eingriffes nehmen können. Der Arztvorbehalt dient zudem dem gesundheitlichen Schutz der Schwangeren.38Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 58. Nähme die Schwangere die Medikamente dagegen alleine zuhause ein, wäre eine medizinische Überwachung und Versorgung nicht mehr gewährleistet. Insofern erscheint die schon jetzt gängige Praxis, die Schwangere mit dem Vorgang der eigentlichen Fruchtabstoßung allein zu lassen, bedenklich. Andererseits kann ein medikamentöser Abbruch lediglich in einem frühen Stadium der Schwangerschaft durchgeführt werden und verläuft in 98% der Fälle komplikationslos.39Arp, Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch: Frauen sollten die Wahl haben, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/151729/Medikamentoeser-Schwangerschaftsabbruch-Frauen-sollten-die-Wahl-haben. Insofern mag der faktische Schutz der Schwangeren auch bei einer Einnahme zuhause nicht gefährdet sein. Gleichwohl gäben die Ärzt*innen das Geschehen bei diesem Vorgehen aus der Hand. Zudem könnten Medikamente leichter gehortet oder weitergegeben werden, was der gesetzgeberischen Intention widerspricht.40Vgl. nur § 219b StGB, der das Inverkehrbringen von Abtreibungsmitteln unter Strafe stellt. Eine Änderung des § 218a StGB, um die Einnahme der Medikamente zuhause zu ermöglichen, scheitert wiederum an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG, die durch § 218a StGB umgesetzt wurden und die Durchführung durch Ärzt*innen verlangen.41Vgl. insoweit nur BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 13.
c) Begleitung durch eine Vertrauensperson
Kann der Eingriff daher nur außerhalb der Wohnung der Schwangeren durchgeführt werden, sollte erwogen werden, ob eine Vertrauensperson die Frau während der Behandlung begleiten darf. Für den diametralen Fall der Geburt hat die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) immerhin empfohlen, die Begleitung durch die Partner*innen im Kreißsaal unter Einhaltung notwendiger Vorkehrungen zuzulassen.42Pressemitteilung der DGGG vom 26.03.2020, abrufbar unter https://www.dggg.de/presse-news/pressemitteilungen/mitteilung/dggg-empfiehlt-vaeter-bei-der-geburt-zulassen-auch-in-zeiten-der-corona-pandemie-1195/. Und obschon es paradox erscheinen mag, einen Schwangerschaftsabbruch mit dem Gebärvorgang zu vergleichen, existieren Parallelen, die eine Begleitung durch eine Vertrauensperson erwägenswert machen: In beiden Situationen ist die Frau in der Regel besonders verletzlich und der mentale Beistand deshalb für sie von erheblicher Bedeutung.
V. Fazit
Der Beitrag hat gezeigt, dass die engen Vorgaben des BVerfG es kaum erlauben, die Voraussetzungen für das „ob“ eines Abbruchs in der aktuellen COVID-19-Pandemie zu lockern. Gleichwohl kann an dem „wie“ der jeweiligen Voraussetzungen der aktuellen Situation Rechnung getragen werden. Es muss zwar ein Beratungsgespräch geben, dieses kann aber auch über Telefon oder Videochat stattfinden. Der Abbruch muss zwar innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen erfolgen, kann aber gegenüber anderen Eingriffen vorzuziehen sein. Der Gesetzgeber hat also die Möglichkeit – und hat hiervon auch schon Gebrauch gemacht – den Frauen zusätzliche pandemiebedingte Erschwernisse abzunehmen, ohne aber den verfassungsrechtlichen Auftrag zu verletzen, das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen.
↑1 | Siehe nur das Joint civil society statement: “European governments must ensure safe and timely access to abortion care during the COVID-19 pandemic” vom 08.04.2020 unter Beteiligung zahlreicher europäischer Organisationen, abrufbar z.B. unter https://www.djb.de/static/common/download.php/savepm/4301/pm20-13_Joint%20Civil%20Statement_Covid19_Abortion.pdf. |
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↑2 | BVerfG, NJW 1993, 1751, LS. 1, 2. |
↑3 | BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 3, 4 |
↑4 | BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 7. |
↑5 | BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 11. |
↑6 | BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 15. |
↑7 | Fischer, Strafgesetzbuch, 67. Aufl. 2020, Vor §§ 218 – 219b, Rn. 9. |
↑8 | Vgl. insoweit auch Nr. 2 der Vollzugsanordnung des BVerfG, NJW 1993, 1752. |
↑9 | Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 218a StGB, Rn. 3; Fischer, § 218a StGB, Rn. 3 ff. |
↑10 | Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 21, 22; Fischer, § 218a StGB, Rn. 14. |
↑11 | Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 22; Fischer, § 218a StGB, Rn. 15. |
↑12 | Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 69. |
↑13 | Kraatz, NStZ-RR 2020, 97, 101. |
↑14 | Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch vom 22.3.2019 (BGBl. I S. 350). |
↑15 | Siehe dazu auch die Pressemitteilung „Schwangerschaftsabbrüche in Zeiten der Corona-Krise“ von Doctors for Choice Germany e.V. vom 22.03.2020, abrufbar unter https://doctorsforchoice.de/2020/03/pm-schwangerschaftsabbruch-corona/. |
↑16 | Fischhaber, „Wir müssen jetzt Frauenleben retten“, in: Süddeutsche Zeitung, 16.04.2020, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/leben/corona-abtreibungen-kristina-haenel-1.4877744. |
↑17 | Es bestehen zumindest Anhaltspunkte dafür, dass Beschränkungen oder Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen die Quote von Abtreibungen nicht (signifikant) verringern, sondern vielmehr zu vermehrten Selbstabtreibungen außerhalb medizinischer Regulierung führen, vgl. etwa Sedgh et al., Abortion incidence between 1990 and 2014: global, regional, and subregional levels and trends. Lancet 2016, Vol. 388, 258, 263 ff., abrufbar unter https://doi.org/10.1016/S0140-6736(16)30380-4. |
↑18 | BT-Drucks. 19/18689 vom 16.04.2020. |
↑19 | BT-Drucks. 19/18193 vom 27.03.2020, S. 42 f. Die Durchführbarkeit elektiver Eingriffe ist mitunter in Landesverordnungen näher geregelt. |
↑20 | Faktenpapier Neuer Klinikalltag des Bundesministeriums für Gesundheit vom 27.04.2020, abrufbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Faktenpapier_Neuer_Klinikalltag.pdf; Gemeinsames Statement von DGCH, DGAI, BDC und BDA zur Wiederaufnahme von elektiven Operationen in deutschen Krankenhäusern vom 27.04.2020, abrufbar unter https://dgou.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/News/News/2020/Wiederaufnahme_elektiver_Eingriffe_Statement_2020_04_27.pdf. |
↑21 | Petersen et al., Coronavirus-Pandemie und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und Unfallchirurgie: Operationen, Risiken und Prävention?, Knie Journal, 2020, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s43205-020-00052-1. |
↑22 | Petersen et al., Coronavirus-Pandemie und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und Unfallchirurgie: Operationen, Risiken und Prävention?, Knie Journal, 2020, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s43205-020-00052-1. |
↑23 | Schwenzer, T., Schwangerschaftsabbruch, Gynäkologe 2010, 35, 38, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s00129-009-2390-2; Schneider H. / Beller F. K., Schwangerschaftsabbruch, In: Schneider H. / Husslein P. / Schneider KT.M. (Hrsg), Die Geburtshilfe, 2006, S. 59. |
↑24 | Vgl. zu dieser Definition Petersen et al., Coronavirus-Pandemie und ihre Auswirkungen auf Orthopädie und Unfallchirurgie: Operationen, Risiken und Prävention?, Knie Journal, 2020, abrufbar unter: https://doi.org/10.1007/s43205-020-00052-1. |
↑25 | Derartige Fälle, in denen der Schwangerschaftsabbruch erforderlich ist, um die Frau vor der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung zu schützen, müssen als Notfallbehandlungen gelten, s. auch die Wertung des § 12 Abs. 2 SchKG. |
↑26 | BVerfG NJW 1993, 1751, 1768. |
↑27 | BT-Drucks. 12/2605, S. 3 ff. |
↑28 | BT-Drucks. 12/2605, S. 3 ff. |
↑29 | Insbesondere das Recht der Frau auf Schutz und Achtung ihrer Menschenwürde (Art. 1 I GG), auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 II GG) und auf Achtung ihrer Persönlichkeitsrechte (Art. 2 I GG). |
↑30 | Zur Rechtslage bei Triage-Entscheidungen vgl. etwa Engländer/Zimmermann, „Rettungstötungen“ in der Corona-Krise?, Die Covid-19-Pandemie und die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und Intensivmedizin, NJW 2020, 1398. |
↑31 | Hecht, Kein Ende der Beratungspflicht, in: taz, 20.03.2020, abrufbar unter: https://taz.de/Schwangerschaftskonfliktberatung/!5672957/. |
↑32 | Zattler, in: Menrad, So verändert die Corona-Krise Schwangerschaftsabbrüche, in: Abendzeitung, 23.04.2020, abrufbar unter: https://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.probleme-mit-aerzten-und-krankenkassen-so-veraendert-die-coronakrise-schwangerschaftsabbrueche.8a1b9c36-604b-4886-84ac-ac8155fc9e6c.html. |
↑33 | BT-Drucksache 19/18689. |
↑34 | National Health Service, abrufbar unter: https://www.nhs.uk/conditions/abortion/what-happens/. |
↑35 | Famlienplanung.de, Der medikamentöse Abbruch, abrufbar unter: https://www.familienplanung.de/beratung/schwangerschaftsabbruch/der-medikamentoese-abbruch/#c61532. |
↑36 | Familienplanung.de, Der medikamentöse Abbruch, abrufbar unter: https://www.familienplanung.de/beratung/schwangerschaftsabbruch/der-medikamentoese-abbruch/#c5929. |
↑37 | Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 58. |
↑38 | Eser/Weißer, in: Schönke/Schröder, § 218a StGB, Rn. 58. |
↑39 | Arp, Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch: Frauen sollten die Wahl haben, abrufbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/151729/Medikamentoeser-Schwangerschaftsabbruch-Frauen-sollten-die-Wahl-haben. |
↑40 | Vgl. nur § 219b StGB, der das Inverkehrbringen von Abtreibungsmitteln unter Strafe stellt. |
↑41 | Vgl. insoweit nur BVerfG, NJW 1993, 1751, LS 13. |
↑42 | Pressemitteilung der DGGG vom 26.03.2020, abrufbar unter https://www.dggg.de/presse-news/pressemitteilungen/mitteilung/dggg-empfiehlt-vaeter-bei-der-geburt-zulassen-auch-in-zeiten-der-corona-pandemie-1195/. |